Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinterbliebenenanspruch. Ursachenzusammenhang zwischen Vefolgung, Krankheitsverlauf und Tod. Wahrscheinlichkeitsnachweis
Leitsatz (amtlich)
Die Beweiserleichterung für den Ursachenzusammenhang zwischen Verfolgung und Tod in Form eines Wahrscheinlichkeitsnachweises gilt für den gesamten zwischen diesen Ereignissen liegenden Krankheitsverlauf bei dem Verfolgten einschließlich der Todesfolge.
Normenkette
BEG § 28 Abs. 1 S. 2, § 41 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 7. Dezember 2000 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin verlangt Hinterbliebenenrente nach ihrem 1986 verstorbenen Ehemann, der als rassisch Verfolgter des deutschen Sprach- und Kulturkreises aus den Vertreibungsgebieten eine Entschädigungsrente bezog. Sie behauptet, daß psychische Nachwirkungen der Verfolgung zunächst labilen Hochdruck und Übergewicht ausgelöst, dann eine Arteriosklerose mit koronarer Herzerkrankung zur Folge gehabt und letztlich den tödlichen Herzinfarkt ihres Ehemannes verursacht haben.
Der Beklagte hatte bereits 1985 einen Verschlimmerungsantrag des Verstorbenen mit der Begründung abgelehnt, daß die 1980 und 1981 erlittenen beiden ersten Herzinfarkte unabhängig von der Verfolgung aufgetreten seien. Verfolgungsunabhängige Gründe für die Gesundheitsverschlechterung und den Tod des Ehemannes der Klägerin hat der Beklagte auch im gegenwärtigen Verfahren geltend gemacht.
Die Klage ist in den Tatsacheninstanzen erfolglos geblieben. Der Senat hat die hiergegen gerichtete Revision der Klägerin wegen Bedeutung für die Beweisanforderungen bei Hinterbliebenenansprüchen gemäß § 41 BEG zugelassen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet, der Rechtsstreit mangels hinreichender Feststellungen jedoch nicht zur Endentscheidung reif.
I.
Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß es für den Nachweis eines mehrgliedrigen Ursachenzusammenhangs zwischen der Verfolgung und dem Tod des Verfolgten, wie hier, einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bedürfe. Da die unmittelbare Todesursache, der tödliche Herzinfarkt, nur als (entfernter) Folgeschaden des ersten Verfolgungsleidens in Betracht komme, genüge die einfache Wahrscheinlichkeit gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1, § 28 Abs. 1 Satz 2 BEG insoweit nicht. Auf das schriftliche Ergänzungsgutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. R. vom 26. Juni 2000, in welchem die einfache Wahrscheinlichkeit der mit der Klage behaupteten Ursachenkette zwischen Verfolgung und Tod entgegen anderweitigen Stellungnahmen bejaht worden ist, kam es deshalb nach Ansicht des Berufungsgerichts ebenso wie auf die Vernehmung weiterer Zeugen nicht mehr an.
II.
Mit der Begründung des Berufungsgerichtes kann die angefochtene Entscheidung nicht bei Bestand bleiben.
1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts greift die Beweiserleichterung der § 41 Abs. 2 Satz 1, § 28 Abs. 1 Satz 2 BEG (hier in Verbindung mit den §§ 150, 151, 159 BEG) für Hinterbliebene auch dann ein, wenn zwischen Verfolgung und Tod des Angehörigen mit dem Eintritt eines unmittelbaren Verfolgungsleidens und dem späteren Hinzutritt eines oder mehrerer Folgeschäden, aus dem oder aus denen sich die akute Todesursache entwickelt, eine medizinisch mehrgliedrige Ursachenkette liegt. Danach genügt auch für den von der Klägerin behaupteten mehrgliedrigen Ursachenzusammenhang zwischen Verfolgung und Tod ihres Ehemannes insgesamt der Wahrscheinlichkeitsnachweis.
a) Das Berufungsgericht beruft sich für seine abweichende Auffassung auf Weiss (Die Wiedergutmachung Bd. IV, Das Bundesentschädigungsgesetz 1981 S. 255), der bei der Entschädigung für Körperschäden die Beweiserleichterung des § 28 Abs. 1 Satz 2 BEG nur einem unmittelbaren Verfolgungsleiden zubilligt und bei Folgeschäden, für welche die Verfolgung nur die mittelbare Ursache darstellt, den Vollbeweis fordert. Diese Stellungnahme ist jedoch vereinzelt geblieben. Gegen sie sprechen allgemeine Auslegungsgrundsätze und die bisher ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Bundesentschädigungsgesetz, an welcher der Senat festhält.
b) Die vom Bundesgerichtshof für das Entschädigungsrecht in ständiger Rechtsprechung angewendete „wertende” Adäquanztheorie gilt nicht nur für die Prüfung der haftungsbegründenden Schadenszurechnung im Verhältnis von Verfolgung und einem unmittelbar hierauf beruhenden ersten Schaden an Körper und Gesundheit (vgl. dazu BGH, Urt. v. 23. Juni 1977 – IX ZR 83/73, RzW 1977, 166, 167 m.w.N.; v. 12. Februar 1981 – IX ZR 21/79, RzW 1981, 71), sondern auch für die haftungsausfüllende Kausalität im Verhältnis zu weiteren körperlichen Folgeschäden mit Einschluß der Todesfolge. Ausschlaggebend ist, inwieweit hier die verfolgungseigentümliche Opfer- und Gefahrenlage in der Person des Verfolgten noch fortgewirkt hat. Mit diesem Zurechnungsgrundsatz ist eine Leistungsbeschränkung, die zwischen unmittelbaren und mittelbaren (entfernteren) Schäden unterscheidet, unvereinbar. Eine solche Unterscheidung findet daher innerhalb des Bundesentschädigungsgesetzes nicht statt (zu § 41 BEG a.F. vgl. BGH, Urt. v. 22. Dezember 1961 – IV ZR 232/61, RzW 1962, 266, 267; v. 17. Februar 1965 – IV ZR 72/64, RzW 1965, 310, 311; allgemein siehe Blessin/Giessler, BEG-Schlußgesetz 1967 § 1 BEG Anm. III 2 S. 231). Die Hinterbliebenenansprüche selbst sind vielmehr schon zur Wiedergutmachung eines mittelbaren Schadens geschaffen (vgl. BGH, Urt. v. 8. Dezember 1967 – IV ZR 132/66, RzW 1968, 174).
c) Vor diesem Anspruchshintergrund, den auch das Berufungsgericht nicht in Zweifel gezogen hat, widerspricht in Fällen eines medizinisch mehrgliedrigen Ursachenzusammenhangs zwischen Verfolgung und Tod, wie nach dem Klagevorbringen hier, eine Lücke zwischen den Beweiserleichterungen, die in § 41 Abs. 2 Satz 1 BEG zugunsten des Hinterbliebenen und in § 28 Abs. 1 Satz 2 BEG zugunsten des Verfolgten gewährt werden, dem Gesetz. Beide Vorschriften enthalten in ihrem Wortlaut keine Andeutung, nach der sich die Beweiserleichterung anders als der materielle Anspruch nur auf die jeweils nächste Schadensfolge bzw. Schadensursache beziehen sollen. Ein entsprechender Hinweis läßt sich auch der Vor- und Entstehungsgeschichte der genannten Vorschriften nicht entnehmen. Entgegen Weiss (aaO) können mittelbare Gesundheitsfolgeschäden, die wahrscheinlich auf die Verfolgung zurückgehen, auch nicht allein wegen der kausalen Entfernung als „Drittschäden” gewertet werden, weil nicht erst das Dazwischentreten selbständiger Handlungen dritter Personen oder des Verfolgten selbst die schädliche Weiterentwicklung bewirkt haben (vgl. dazu BGHZ 18, 286, 287 f). Der Wahrscheinlichkeitsnachweis für die mindestens doppelgliedrige Kausalkette von der Verfolgung über Verfolgungsleiden zum Tod ist für Hinterbliebenenansprüche nach § 28 Abs. 1 Satz 2, § 41 Abs. 2 BEG mithin nicht nur grundsätzlich genügend (vgl. schon BGH, Urt. v. 8. Dezember 1967 aaO), sondern auch dann maßgebend, wenn innerhalb der Verfolgungsleiden durch Hinzutreten krankheitsbegünstigender Anlagen des Verfolgten eine Weiterentwicklung stattgefunden hat.
2. Das Berufungsgericht hat nicht verfahrensfehlerfrei festgestellt, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem auf der Verfolgung beruhenden Schaden an Körper oder Gesundheit und dem Tod des Ehemannes der Klägerin entgegen dem Klagevorbringen nicht wahrscheinlich ist. Der gerichtliche Sachverständige Dr. R. hat in seinem letzten Ergänzungsgutachten vom 26. Juni 2000 (GA 238, 242 f) die Wahrscheinlichkeit einer solchen Kausalkette bejaht. Wenn das Berufungsgericht sich in seiner Beweiswürdigung davon nicht hat überzeugen können (BU 17 a.E. f) und seine Zweifel zur Entscheidungsgrundlage machen wollte, so hätte es die von der Klägerin beantragte erneute Anhörung des Sachverständigen (GA 311 unten) nach den §§ 402, 397 ZPO nicht unterlassen dürfen (vgl. BGHZ 6, 398, 400; BGH, Urt. v. 22. Mai 2001 – VI ZR 268/00, NJW-RR 2001, 1431, 1432 m.w.N.; außerdem BVerfG NJW 1998, 2273). Es mußte dann auch die im Schlußsatz des Berufungsurteils angesprochene Vernehmung weiterer Zeugen prüfen.
Revisionsrechtlich kann demnach derzeit der Hinterbliebenenanspruch der Klägerin nicht schon mangels Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Verfolgung und Tod ihres Ehemannes verneint werden.
3. Die Sache ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit abschließend festgestellt werden kann, ob der behauptete Ursachenzusammenhang zwischen Verfolgung und Tod des Ehemannes der Klägerin im Sinne der gesetzlichen Beweiserleichterung wahrscheinlich ist. Je weiter der Tod des Verfolgten von seiner möglichen Verfolgungsursache entfernt ist, desto schwieriger läßt sich der Wahrscheinlichkeitsnachweis führen. Zum einen muß für jedes Glied der behaupteten Kausalkette gesondert festgestellt werden, daß mehr für als gegen die Verfolgung als fortwirkende Ursache der Weiterentwicklung spricht. Zum anderen muß auch die Gesamtwürdigung der Entwicklung zwischen dem ersten verfolgungsbedingten Körperschaden und dem Tod die Wahrscheinlichkeit eines Weiterwirkens der verfolgungseigentümlichen Opfer- und Gefahrenlage über die ganze Lebensstrecke des Verfolgten mit Einschluß seiner unmittelbaren Todesursache ergeben.
In diesem von § 41 Abs. 2 Satz 1, § 28 Abs. 1 Satz 2 BEG gezogenen Rahmen hat das Berufungsgericht nach Zurückverweisung insbesondere zu prüfen, ob die Herzerkrankung des Verfolgten als Anlage- oder Drittschaden betrachtet werden muß, auf dessen Entstehung und tödlichen Verlauf die Verfolgungsnachwirkungen keinen wahrscheinlichen Einfluß mehr hatten.
Unterschriften
Kreft, Kirchhof, Fischer, Raebel, Kayser
Fundstellen
Haufe-Index 779200 |
BGHR 2002, 873 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 2002, 1248 |