Verfahrensgang
OLG Naumburg (Entscheidung vom 06.12.2021; Aktenzeichen 12 U 103/21) |
LG Magdeburg (Entscheidung vom 23.04.2021; Aktenzeichen 2 O 1284/20) |
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 6. Dezember 2021 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 500.000 €.
Gründe
Rz. 1
Mit notariell beurkundeten Verträgen von Mai und Juli 2018 erwarb die Klägerin von dem Beklagten mehrere Grundstücke zu einem Gesamtpreis von mehr als 6 Mio. €. Die Übereignung sollte lastenfrei erfolgen. Ein Teil der Grundstücke ist mit einer Briefgrundschuld über 1 Mio. DM belastet. Der Beklagte ist im Besitz des Grundschuldbriefs und einer Löschungsbewilligung der Grundschuldgläubigerin. Zwei der von der Klägerin erworbenen Grundstücke waren zudem mit einer Auflassungsvormerkung für einen Dritten belastet. Am 27. Mai 2020 vereinbarten die Parteien, dass die Klägerin und der Beklagte jeweils 200.000 € an den Dritten zahlen, damit dieser die Löschung der Vormerkung bewilligt. Auf Veranlassung des Beklagten überwies der Notar von dem auf dem Notaranderkonto hinterlegten Betrag 200.000 € an den Dritten. Zu diesem Zeitpunkt hatte dieser aufgrund einer mit der Klägerin geschlossenen Vereinbarung die Löschungsbewilligung bereits erteilt, was dem Beklagten nicht mitgeteilt worden war.
Rz. 2
Ab Anfang August 2020 verhandelten die Parteien über eine von dem Beklagten geforderte Erhöhung des Kaufpreises. Am 14. August 2020 fand eine Besprechung statt, deren Inhalt streitig ist und von der Klägerin mit Schreiben vom 18. August 2020 wie folgt zusammengefasst wurde: „Ihr Mandant erhält eine gesonderte Zahlung in Höhe von 500.000,00 €, des Weiteren eine Zahlung in Höhe von 1.500.000,00 € am 31. Dezember 2023. Hiermit erklärte sich Ihr Mandant grundsätzlich einverstanden; er bestand jedoch auf eine Sicherheit für die Zahlung in Höhe von 1.500.000,00 €.“
Rz. 3
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten die Herausgabe des Grundschuldbriefs und der Löschungsbewilligung. Der Beklagte meint, dazu nur Zug um Zug gegen Zahlung von 500.000 € verpflichtet zu sein. Das Landgericht hat den Beklagten ohne den Zug-um-Zug-Vorbehalt zur Herausgabe verurteilt. Mit der Berufung hat der Beklagte sich nur gegen die Verneinung des Zurückbehaltungsrechts gewandt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt der Beklagte den Zug-um-Zug-Vorbehalt in Höhe von 500.000 € weiter. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
II.
Rz. 4
Das Berufungsgericht meint, dem Beklagten stehe kein Zurückbehaltungsrecht zu. Er habe keinen Anspruch auf Zahlung von 500.000 € aus einer Vereinbarung vom 14. August 2020. Die Parteien hätten an diesem Tag keinen Vertrag geschlossen, der die Klägerin zur sofortigen Zahlung von zusätzlichen 500.000 € verpflichtet habe. Zwar behaupte der Beklagte unter Beweisantritt allgemein eine dahingehende verbindliche Einigung am 14. August 2020. Indes trage er auch Umstände vor, die im Zusammenhang mit dem unstreitigen Schriftwechsel der Parteien nur den Schluss zuließen, dass es zu keinem verbindlichen Vertragsschluss, auch nicht nur über einzelne Gegenstände der Verhandlungen, gekommen sei. Schon das Schreiben der Klägerin vom 18. August 2020 lasse erkennen, dass die Parteien sich am 14. August 2020 nicht über eine Zahlung von 2 Mio. € und auch nicht über eine sofortige Zahlung von 500.000 € geeinigt hätten. Jedenfalls wäre eine solche Vereinbarung nichtig, weil sie nicht der rechtsgeschäftlich vereinbarten Form entspreche. Aus dem in der Zeit vom 3. bis 31. August 2020 an den Tag gelegten Verhalten der Parteien, insbesondere dem E-Mail-Verkehr, ergebe sich, dass konkludent eine notarielle Beurkundung der Vereinbarung abgesprochen gewesen sei.
Rz. 5
Der Beklagte habe gegen die Klägerin auch keinen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 200.000 €. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Beklagte nicht zur Zahlung von 200.000 € an den Dritten bereit erklärt hätte, wenn er gewusst hätte, dass dieser die Löschungsbewilligung bereits erteilt hatte.
III.
Rz. 6
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Das angefochtene Urteil ist gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze findet, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 21. November 2019 - V ZR 101/19, ZMR 2020, 768 Rn. 10). Das gilt auch dann, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots auf vorweggenommener tatrichterlicher Beweiswürdigung beruht (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Januar 2012 - V ZR 141/11, WuM 2012, 164 Rn. 8 mwN; BGH, Beschluss vom 19. November 2008 - IV ZR 341/07, r+s 2010, 64 Rn. 3).
Rz. 7
1. So verhält es sich hier, soweit das Berufungsgericht meint, schon aus dem unstreitigen Sachverhalt und dem eigenen Vortrag des Beklagten ergebe sich, dass die Parteien sich am 14. August 2020 nicht auf die Zahlung von 500.000 € geeinigt hätten.
Rz. 8
a) Der Beklagte hat vorgetragen, die Klägerin habe in der Besprechung am 14. August 2020 die Zahlung von 500.000 € sofort Zug um Zug gegen Aushändigung der Dokumente (Grundschuldbrief und Löschungsbewilligung) und die Zahlung weiterer 1,5 Mio. € zum 31. Dezember 2023 angeboten. Dieses Angebot habe er angenommen. Lediglich die Absicherung der zweiten Teilzahlung sei noch auszuhandeln gewesen; für eine Absicherung der Zahlung von 500.000 € habe dagegen vor dem Hintergrund der Zug-um-Zug-Abrede keine Notwendigkeit bestanden. Damit hat der Beklagte, was das Berufungsgericht noch zutreffend erkennt, schlüssig eine Vereinbarung vorgetragen (§ 147 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Rz. 9
b) Der Beklagte hat für seinen Vortrag Beweis angeboten durch Vernehmung des Zeugen B. und seiner eigenen Person als Partei. Zwar legt die Nichtzulassungsbeschwerde nicht dar, dass die Voraussetzungen für eine Vernehmung des beweispflichtigen Beklagten als Partei gemäß §§ 447, 448 ZPO vorgelegen haben. Das Berufungsgericht durfte aber, wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht rügt, von der Vernehmung des Zeugen nicht mit der Begründung absehen, der zunächst schlüssige Vortrag des Beklagten stehe mit seinem weiteren Vorbringen und dem Schriftwechsel der Parteien in Widerspruch. Bei der Würdigung des Schreibens vom 18. August 2020 lässt das Berufungsgericht außer Betracht, dass die Klägerin darin lediglich den Inhalt des Gesprächs so wiedergibt, wie er sich aus ihrer Sicht darstellt. Es beachtet auch nicht, dass die von ihm angenommene Widersprüchlichkeit nicht die Schlüssigkeit des Vortrags zur Einigung über die Zahlung von 500.000 € Zug um Zug gegen Aushändigung der Dokumente beseitigt. Eine Partei ist nicht gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern, insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen. Dabei entstehende Widersprüchlichkeiten im Parteivortrag können allenfalls im Rahmen der Beweiswürdigung Beachtung finden (BGH, Urteil vom 1. Juli 1999 - VII ZR 202/98, NJW-RR 2000, 208). Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots wegen vermeintlicher Widersprüche im Vortrag der beweisbelasteten Partei läuft auf eine prozessual unzulässige vorweggenommene tatrichterliche Beweiswürdigung hinaus und verstößt damit zugleich gegen Art. 103 Abs. 1 GG (BGH, Beschluss vom 10. November 2016 - I ZR 235/15, WuM 2017, 48 Rn. 15 mwN; Urteil vom 21. Juni 2018 - IX ZR 129/17, NJW-RR 2018, 1150 Rn. 21; Urteil vom 8. Dezember 2020 - KZR 60/16, WM 2022, 1026 Rn. 32).
Rz. 10
2. Auch soweit das Berufungsgericht annimmt, die Parteien hätten stillschweigend eine notarielle Beurkundung vereinbart, hat das Berufungsgericht, wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht rügt, zu Unrecht von einer Beweisaufnahme abgesehen. Der Beklagte hat unter Beweisantritt vorgetragen, die notarielle Beurkundung sei aus Gründen der Praktikabilität thematisiert worden, da der Notar die zu übergebenden Urkunden benötigt habe; es sei aber nicht so gewesen, dass eine Einigung erst am Tag einer Beurkundung endgültig und wirksam habe erfolgen sollen. Diesen Vortrag hat der Beklagte unter Beweis gestellt durch Vernehmung seiner Person als Partei und des Zeugen B.. Das Berufungsgericht durfte von der Erhebung des Zeugenbeweises nicht mit der Begründung absehen, aus dem Verhalten der Parteien ergebe sich eine konkludente Vereinbarung der notariellen Beurkundung. Auch diese Würdigung läuft auf eine prozessual unzulässige vorweggenommene tatrichterliche Beweiswürdigung hinaus und verstößt damit zugleich gegen Art. 103 Abs. 1 GG.
Rz. 11
3. Der Verstoß gegen das rechtliche Gehör ist entscheidungserheblich. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach einer Vernehmung des Zeugen und gegebenenfalls ergänzender Parteianhörung (§ 141 ZPO; vgl. dazu Senat, Urteil vom 19. April 2002 - V ZR 90/01, BGHZ 150, 334, 343; Beschluss vom 28. April 2011 - V ZR 220/10, juris Rn. 13 mwN) zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.
IV.
Rz. 12
Der Verstoß gegen das rechtliche Gehör des Beklagten führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht, das den angebotenen Beweis zu erheben haben wird. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht zudem die Gelegenheit, die von dem Beklagten gegen die Verneinung des (offenbar nur hilfsweise geltend gemachten) Schadensersatzanspruchs in Höhe von 200.000 € aus § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2 BGB geltend gemachten Einwendungen bei der erneuten Entscheidung zu berücksichtigen.
Brückner |
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Haberkamp |
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Hamdorf |
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Malik |
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Laube |
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Fundstellen
Dokument-Index HI15524340 |