Dipl.-Oec. Andrea Bruckner, Dr. Niklas Homfeldt
Tz. 161
Das in § 320 Abs. 2 Satz 1 HGB kodifizierte Auskunftsrecht umfasst die zur Durchführung einer ordnungsgemäßen Abschlussprüfung erforderlichen Aufklärungen und Nachweise. Die Auskunftspflicht (i. d. R. mündliche Erteilung) ist von allen gesetzlichen Vertretern der zu prüfenden Gesellschaft zu erfüllen, wobei diese hiermit auch ihre sachkundigen Angestellten beauftragen können. Deren Auskünfte gelten in diesen Fällen als verbindliche Aussage der gesetzlichen Vertreter. Nicht aufgehoben wird hierdurch jedoch die Pflicht der gesetzlichen Vertreter zur persönlichen Auskunft, sofern dies vom Abschlussprüfer verlangt wird.
Tz. 162
Unter Nachweisen sind Dokumente oder sonstige Unterlagen zu verstehen, welche durch § 320 Abs. 1 Satz 2 HGB als "Bücher und Schriften" bezeichnet worden sind. Als Nachweise kommen bspw. Auswertungen der Kostenträgerrechnungen oder aus der Rechtsabteilung stammende Akten zu schwebenden Prozessen infrage. Bleibt etwas trotz Vorlage von Nachweisen unklar, kommen in der Folge mündliche Aufklärungen zum Tragen. Hierbei handelt es sich um sämtliche Auskünfte, Darlegungen, Erklärungen, Hinweise oder Begründungen, welche dem Abschlussprüfer die relevanten Sachverhalte erhellen. Um diese als Nachweise verwenden zu können, wird der Abschlussprüfer eine schriftliche Dokumentation dieser Aufklärungen benötigen oder selber eine entsprechende anfertigen.
Tz. 163
In § 320 Abs. 2 Satz 2 HGB wird klargestellt, dass dem Abschlussprüfer die Auskunftsrechte auch bereits vor der (endgültigen) Aufstellung des Jahresabschlusses zur Verfügung stehen. So kann der Abschlussprüfer bereits ab dem Zeitpunkt seiner Bestellung die notwendigen Prüfungshandlungen vornehmen. Dies hat in der Prüfungspraxis eine erhebliche Bedeutung, zumal zahlreiche Prüfungshandlungen mit Blick auf die zeitliche Entzerrung der im Regelfall engen Zeitschiene einer Abschlussprüfung möglichst vorgelagert durchgeführt werden. In den sog. Vor- bzw. Zwischenprüfungen werden bspw. Prüfungshandlungen zur Risikobeurteilung (einschließlich Aufbauprüfung und Funktionsprüfung des rechnungslegungsbezogenen internen Kontrollsystems), Prüfungen der Vorratsinventur, organisatorische Umstellungen (u. a. Wechsel des IT-Systems) oder des Risikofrüherkennungssystems nach § 317 Abs. 4 HGB vorgenommen.
Tz. 164
Auskünfte und Erklärungen durch gesetzliche Vertreter stellen für die Erlangung einer hinreichenden Prüfungssicherheit regelmäßig einen bedeutenden Prüfungsnachweis dar. Diese sind nicht nur mündlich – bspw. im Rahmen einer Schlussbesprechung –, sondern auch schriftlich einzuholen. Dies erfolgt in der praktischen Umsetzung üblicherweise durch eine sog. Vollständigkeitserklärung der gesetzlichen Vertreter. Die Verpflichtung der gesetzlichen Vertreter zur Abgabe dieser Vollständigkeitserklärung ergibt sich i. d. R. aufgrund der im Prüfungsauftrag vereinbarten allgemeinen Auftragsbedingungen für Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. (IDW).
Durch die Abgabe der Vollständigkeitserklärung bestätigen die gesetzlichen Vertreter gegenüber dem Abschlussprüfer die Vollständigkeit im Hinblick auf die erteilten Erklärungen und Nachweise. Diese vom Berufsstand entwickelten Vollständigkeitserklärungen liegen für unterschiedliche Arten von Abschlussprüfungen vor und lassen sich mit verschiedenen Modulen kombinieren. Neben der Bestätigung der Vollständigkeit erteilter Erklärungen und Nachweise sind in der Vollständigkeitserklärung auch vom Abschlussprüfer einzuholende schriftliche Erklärungen bzw. Auskünfte von Seiten der gesetzlichen Vertreter vorgesehen. Diese beziehen sich bspw. auf
- der Fortführung der Gesellschaft ggf. entgegenstehende Umstände,
- Beziehungen zu nahestehenden Personen,
- eingegangene Haftungsverhältnisse und die Besicherung von Verbindlichkeiten,
- bedeutsame Verträge und Rechtsstreitigkeiten,
- Störungen bzw. wesentliche Mängel des IKS oder
- Aussagen in Bezug auf bedeutende, zur Bemessung von Zeitwerten herangezogene Annahmen und Absichten.
Wird keine Vollständigkeitserklärung abgegeben, ist der Bestätigungsvermerk unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften und der Grundsätze ordnungsgemäßer Abschlussprüfung zu versagen. Dies gilt auch bei Vorliegen von erheblichen Zweifeln an der Integrität der Verantwortlichen, die bspw. dadurch begründet sein können, dass sie die rechnungslegungsbezogene Gesamtverantwortung von sich weisen.
Die Vollständigkeitserklärung ist auf den Tag der Beendigung der materiellen Prüfungshandlungen und damit zeitnah zum Datum des Bestätigungsvermerks einzuholen.