Rn. 15

Stand: EL 38 – ET: 01/2023

Die Konzernrechtsdogmatik war bis zu einer im Jahre 2001 erfolgten, den GmbH-Konzern betreffenden Rspr.-Korrektur rechtsformübergreifend durch die Überlegung geprägt, dass ein Regelungsmodell der Haftung in faktischen UN-Verbindungen entsprechend der Intensität der von dem beherrschenden UN ausgeübten Leitungsmacht zwischen verschiedenen Konzernierungsstufen unterscheiden müsse. Die einfache faktische UN-Verbindung, die in den §§ 311ff. AktG angesprochen ist, wurde dementsprechend sowohl im GmbH-Recht als auch im Aktienrecht dem qualifizierten faktischen Konzern gegenübergestellt, der sich durch eine gesteigerte Form der Einflussnahme auszeichnet, wie sie nach dem gesetzlichen Schutzkonzept der §§ 291ff. AktG an sich nur in vertraglich geregelten UN-Verbindungen anzutreffen sein sollte. Der qualifiziert faktische Konzern bedurfte als eine Rechtsfortbildung praeter legem eigenständiger Rechtsfolgen, die über den durch die §§ 311ff. AktG verwirklichten Minderheiten- und Gläubigerschutz hinausgehen (vgl. dazu HdR-E, Einf AktG §§ 311–318, Rn. 45ff.). Es lag nahe, die Lösung für dieses Phänomen unmittelbar im Gesetz, nämlich in der analogen Anwendung der §§ 302ff. AktG zu suchen. Inzwischen ist dieses Modell für den GmbH-Konzern durch das Modell der Existenzvernichtungshaftung abgelöst worden, für den Aktienkonzern hat es entgegen auch insoweit kritischer Stimmen (vgl. ­Decher, ZHR 2007, S. 126 (137); Henze, AG 2004, S. 405 (415); Beck AG-HB (2018), § 14, Rn. 90; Holding-HB (2020), § 8, Rn. 8.88f.; Hüffer-AktG (2022), § 1, Rn. 28; KK-AktG (2004), Anhang zu § 318, Rn. 63ff.; MünchKomm. AktG (2020), Anhang zu § 317, Rn. 14ff.) aber seine Berechtigung behalten (vgl. ebenso etwa OLG Köln, Urteil vom 15.01.2009, 18 U 205/07, ZIP 2009, S. 1469 (1471f.); BeckOGK-AktG (2022), § 311, Rn. 27ff.; MünchKomm. AktG (2019), § 18, Rn. 11; HB-GesR (2020/IV), § 70, Rn. 142; AktG-Komm. (2020), § 317, Rn. 47ff.; Holding-HB (2020), § 8, Rn. 8.89; Habersack, AG 2016, S. 691 (695)).

 

Rn. 16

Stand: EL 38 – ET: 01/2023

Wird im faktischen Konzern die Leitungsmacht derart intensiv wahrgenommen, dass sich einzelne schädigende Maßnahmen nicht mehr isolieren lassen, so dass auch der Einzelausgleich nach den §§ 311, 317 AktG nicht mehr realisierbar ist, muss vom herrschenden UN der in den §§ 302f. AktG für den Vertragskonzern vorgesehene Gesamtausgleich geleistet werden. Denn eine solche Intensität der Fremdbestimmung erlaubt das Gesetz nur im Vertragskonzern mit seinem stärker ausgeprägten Gläubigerschutzsystem. Für den Aktienkonzern hat also das gedankliche Konzept einer Trennung zwischen verschiedenen Intensitätsstufen weiterhin seine Berechtigung. Dagegen lässt sich für den GmbH-Konzern aufgrund des unbegrenzten Weisungsrechts der Gesellschafter dem Gesetz gerade keine Wertung entnehmen, die ein Verbot der qualifiziert faktischen Konzernierung bzw. seine Qualifikation als Umgehungstatbestand rechtfertigt.

 

Rn. 17

Stand: EL 38 – ET: 01/2023

Der Schutz der abhängigen Gesellschaft sowie ihrer außenstehenden Gesellschafter und Gläubiger wird in der hier zunächst erörterten einfachen faktischen UN-Verbindung durch ein dreistufiges Schutzsystem erreicht:

(1) Das Gesetz siedelt den Regelungsschwerpunkt in der Verpflichtung zum Nachteilsausgleich an und flankiert diesen Schutz durch Informationsrechte der außenstehenden Gesellschafter (vgl. §§ 311318 AktG).
(2) Eine wichtige Ergänzung dieser gesetzlichen Konzernleitungskontrolle bildet die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht. Sie begründet nicht nur Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche bei negativ wirkenden Leitungsmaßnahmen, sondern beschränkt auch die unternehmerischen Betätigungsmöglichkeiten des MU (etwa durch ein Wettbewerbsverbot; vgl. HdR-E, Einf AktG §§ 311–318, Rn. 27).
(3) Erweitert wird dieser repressiv wirkende Schutz durch einen dogmatisch eigenständigen präventiven Schutz, der an der Konzernbildung ansetzt und bereits die Begründung eines unerwünschten Abhängigkeitsverhältnisses verhindern soll (vgl. HdR-E, Einf AktG §§ 311–318, Rn. 31ff.).
 

Rn. 18

Stand: EL 38 – ET: 01/2023

Eine allg. Verlustübernahmeverpflichtung analog zu § 302 AktG gibt es dagegen in der einfachen faktischen UN-Verbindung nicht. Solange ein Einzelausgleich möglich ist, bedarf es dieses weitreichenden Schutzes nicht.

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