Leitsatz (amtlich)

a) Eine Vollstreckung von ersatzweise angeordneter Ordnungshaft ist durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners nicht gehindert.

b) Die Frage, in welchen Fällen die Verjährung der Vollstreckung eines Ordnungsmittels ruht, ist in Art. 9 Abs. 2 Satz 4 EGStGB abschließend geregelt.

c) Die Vollstreckung kann nur dann i.S.v. Art. 9 Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 EGStGB "nach dem Gesetz" nicht begonnen oder nicht fortgesetzt werden, wenn diese Rechtsfolge im Gesetz ausdrücklich angeordnet ist.

 

Normenkette

ZPO § 240 S. 1; InsO § 39 Abs. 1 Nr. 3; EGStGB Art. 9 Abs. 2 S. 4

 

Verfahrensgang

OLG Stuttgart (Beschluss vom 01.08.2017; Aktenzeichen 2 W 5/17)

LG Stuttgart (Beschluss vom 20.12.2016; Aktenzeichen 35 O 44/14 KfH)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des OLG Stuttgart - 2. Zivilsenat - vom 1.8.2017 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Beschwerdegericht die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen die Zurückweisung seines Antrags auf Haftverschonung aus den Ordnungsmittelbeschlüssen des LG Stuttgart - 35. Kammer für Handelssachen - vom 11.12.2014 und vom 24.2.2015 zurückgewiesen hat.

Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des LG Stuttgart - 35. Kammer für Handelssachen - vom 20.12.2016 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass der Ordnungsmittelbeschluss des LG Stuttgart - 35. Kammer für Handelssachen - vom 24.2.2015 nicht mehr vollstreckbar ist.

Die Dauer der gegen den Betroffenen durch Beschluss des LG Stuttgart - 35. Kammer für Handelssachen - vom 20.4.2015 verhängten Ordnungshaft wird auf 60 Tage herabgesetzt. Hiervon entfällt je ein Tag für 250 EUR, die auf die Ordnungsgeldforderung gegen die Schuldnerin bezahlt werden. Zahlungen auf das Ordnungsgeld kommen vorrangig dem Betroffenen zugute.

Im übrigen Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens: 42.500 EUR

 

Gründe

Rz. 1

I. Der Schuldnerin, deren Vorstand der Betroffene war und über deren Vermögen am 29.1.2016 das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, ist auf Antrag der Gläubigerin durch einstweilige Verfügung des LG vom 23.5.2014 unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und im Falle seiner Uneinbringlichkeit Ordnungshaft verboten worden, ihre Beteiligung an der Planung und Entwicklung eines Oldtimer-Zentrums unter der Bezeichnung "M." am Standort B. zu bewerben. Nachdem die einstweilige Verfügung auf den Widerspruch der Schuldnerin durch Urteil des LG vom 25.11.2014 bestätigt worden war, haben sich die Parteien im Berufungsverfahren durch Vergleich vom 7.5.2015 auf eine vertragsstrafenbewehrte Unterlassungserklärung geeinigt und das Verfügungsverfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Rz. 2

Das LG hat gegen die Schuldnerin wegen einer Zuwiderhandlung gegen die einstweilige Verfügung vom 23.5.2014 am 11.12.2014 ein Ordnungsgeld i.H.v. 5.000 EUR, ersatzweise je 250 EUR einen Tag Ordnungshaft (insgesamt 20 Tage) festgesetzt. Am 24.2.2015 hat es gegen die Schuldnerin wegen erneuter Zuwiderhandlung gegen die einstweilige Verfügung vom 23.5.2014 ein Ordnungsgeld i.H.v. 50.000 EUR, ersatzweise je 250 EUR einen Tag Ordnungshaft (insgesamt 200 Tage) verhängt. Wegen einer weiteren Zuwiderhandlung gegen die einstweilige Verfügung vom 23.5.2014 hat das LG gegen die Schuldnerin am 20.4.2015 ein Ordnungsgeld i.H.v. 30.000 EUR, ersatzweise je 250 EUR einen Tag Ordnungshaft (insgesamt 120 Tage) festgesetzt. Die von der Schuldnerin gegen diese drei Beschlüsse jeweils eingelegten Beschwerden sind in allen Fällen ohne Erfolg geblieben.

Rz. 3

Mitte des Jahres 2015 ist die Schuldnerin erfolglos zur Zahlung der Ordnungsgelder aus den Ordnungsgeldbeschlüssen vom 11.12.2014 und vom 24.2.2015 aufgefordert worden. Die Ladung des Betroffenen zum Antritt der Ordnungshaft aus sämtlichen Ordnungsmittelbeschlüssen ist mehrfach abgeändert und zuletzt auf den 31.1.2017 festgesetzt worden.

Rz. 4

Der Betroffene hat am 25.8.2016 beim LG einen Antrag auf Haftverschonung nach Art. 8 Abs. 2 EGStGB gestellt. Hilfsweise hat er die Herabsetzung des Ordnungsgelds beantragt. Das LG hat diese Anträge mit Beschluss vom 20.12.2016 zurückgewiesen.

Rz. 5

Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen hat das Beschwerdegericht die Ordnungshaft unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels auf 170 Tage herabgesetzt.

Rz. 6

Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Betroffene die Feststellung, dass die Ordnungsgeldbeschlüsse des LG vom 11.12.2014, vom 24.2.2015 und vom 20.4.2015 nicht mehr vollstreckbar sind.

Rz. 7

II. Das Beschwerdegericht ist im angefochtenen Beschluss davon ausgegangen, dass kein Fall einer unbilligen Härte i.S.v. Art. 8 Abs. 2 EGStGB vorliegt. Zur Begründung hat es sich auf seinen in einer Parallelsache ergangenen Beschl. v. 25.1.2017 - 2 W 74/16, juris und den Beschluss des BVerfG v. 9.5.2017 - 2 BvR 335/17, NJW-RR 2017, 957 bezogen, mit dem die Verfassungsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss vom 25.1.2017 nicht zur Entscheidung angenommen worden ist. Wegen der nach der Festsetzung des Ordnungsmittels eingetretenen Insolvenz sowohl der Schuldnerin als auch des Betroffenen selbst sei aber eine Halbierung der Ordnungshaft angemessen. Hinsichtlich der danach verbleibenden insgesamt 170 Tage Ordnungshaft sei allerdings keine Vollstreckungsverjährung eingetreten. Dazu hat es ausgeführt:

Rz. 8

Die Vollstreckung von festgesetzten zivilprozessualen Ordnungsmitteln setze die Rechtskraft des Vollstreckungstitels nicht voraus und verjähre nach zwei Jahren. Die Vollstreckungsverjährung beginne mit der Vollstreckbarkeit des Ordnungsmittels, wobei eine einheitliche Frist für das Ordnungsgeld und die zugehörige Ersatzordnungshaft gelte. Bei dem Ordnungsmittelbeschluss des LG vom 11.12.2014 sei die Frist von zwei Jahren noch nicht abgelaufen, weil die Verjährung dort jedenfalls in der Zeit vom 22.12.2014 bis zum 7.4.2015, dann nochmals in der Zeit vom 25. August bis zum 27.12.2016 und schließlich in der Zeit vom 23. März bis zum 9.5.2017 geruht habe. Dasselbe gelte für den Ordnungsmittelbeschluss des LG vom 24.2.2015, bei dem die Verjährung in der Zeit vom 17.3.2015 bis zum 26.5.2015 und dann ebenso wie bei dem Ordnungsmittelbeschluss vom 11.12.2014 in der Zeit vom 25.8.2016 bis zum 27.12.2016 und dann nochmals in der Zeit vom 23.3.2017 bis zum 9.5.2017 geruht habe, sowie für den Ordnungsmittelbeschluss des LG vom 20.4.2015, bei dem die Verjährung zunächst in der Zeit vom 29.4.2015 bis zum 22.3.2016 und dann ebenso wie bei den beiden anderen Beschlüssen nochmals in der Zeit vom 25.8.2016 bis zum 27.12.2016 und in der Zeit vom 23.3.2017 bis zum 9.5.2017 geruht habe.

Rz. 9

III. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Betroffenen hat zu keiner Unterbrechung des vorliegenden, gegen den Betroffenen gerichteten Vollstreckungsverfahrens geführt. Die Parteien streiten hier nicht über eine Pflicht des Betroffenen zur Zahlung von Ordnungsgeld, bei der es um die Befriedigung einer - wenngleich gem. § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO nur nachrangig zu befriedigenden - Insolvenzforderung ginge und das Verfahren daher mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Betroffenen gem. § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen worden wäre (Stadler in Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl., § 240 Rz. 5). Vielmehr steht vorliegend die Vollstreckung von ersatzweise angeordneter Ordnungshaft in Rede. Eine solche Vollstreckung ist durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners nicht gehindert (vgl. - zur Anordnung und Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe gem. § 459e Abs. 2 StPO - BVerfG NJW 2006, 3626, 3627 [juris Rz. 5 bis 9]; Braun/Bäuerle, InsO, 7. Aufl., § 39 Rz. 13; Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 3. Aufl., § 39 Rz. 22; Hirte in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, InsO, 14. Aufl., § 39 Rz. 23).

Rz. 10

IV. Die gegen die Beurteilung des Beschwerdegerichts gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist aufgrund ihrer Zulassung gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. In der Sache wendet sie sich nicht gegen die Beurteilung, es liege kein Fall einer unbilligen Härte i.S.v. Art. 8 Abs. 2 EGStGB vor. Die Ausführungen in dem in einer Parallelsache ergangenen Beschluss vom 25.1.2017, auf die sich das Beschwerdegericht zur Begründung der vorliegend zu überprüfenden Entscheidung bezogen hat, lassen auch keinen Rechtsfehler erkennen. Erfolg hat die Rechtsbeschwerde, soweit sie sich gegen die Vollstreckung aus dem Beschluss des LG vom 11.12.2014 (dazu unter IV 1) und aus dem Beschluss des LG vom 24.2.2015 wendet (dazu unter IV 2). Nicht begründet ist die Rechtsbeschwerde dagegen, soweit sie sich gegen die Vollstreckung aus dem Beschluss des LG vom 20.4.2015 richtet (dazu unter IV 3).

1. Vollstreckung aus dem Beschluss vom 11.12.2014

Rz. 11

a) Das Beschwerdegericht ist bei diesem Beschluss und ebenso bei den anderen beiden Beschlüssen mit Recht und von der Rechtsbeschwerde auch unangegriffen davon ausgegangen, dass für die Verjährung des dort festgesetzten Ordnungsmittels gem. § 890 ZPO die Regelung des Art. 9 EGStGB gilt (vgl. BGH, Beschl. v. 5.11.2004 - IXa ZB 18/04, BGHZ 161, 60, 63 f. [juris Rz. 10]; Beschl. v. 17.8.2011 - I ZB 20/11, GRUR 2012, 427 Rz. 7 = NJW 2011, 3791 - Aufschiebende Wirkung). Ebenfalls zutreffend ist die Beurteilung des Beschwerdegerichts, nach der Festsetzung eines Ordnungsmittels könne keine Verfolgungsverjährung mehr eintreten, so dass ab diesem Zeitpunkt allein noch die Vollstreckungsverjährung gem. Art. 9 Abs. 2 EGStGB in Betracht komme (vgl. BGHZ 161, 60, 64 bis 66 [juris Rz. 11 bis 19]; BGH GRUR 2012, 427 Rz. 7 f. - Aufschiebende Wirkung; BGH, Urt. v. 7.5.2013 - IX ZR 123/12, WM 2013, 711 Rz. 23).

Rz. 12

b) Das Beschwerdegericht hat weiterhin mit Recht und auch insoweit von der Rechtsbeschwerde unangegriffen angenommen, dass die Frist für die Vollstreckungsverjährung, die gem. Art. 9 Abs. 2 Satz 2 EGStGB zwei Jahre beträgt, bei dem Beschluss vom 11.12.2014 mit dessen Zustellung an die Schuldnerin am 18.12.2014 zu laufen begonnen hat, da damit das in dem Beschluss enthaltene Ordnungsmittel vollstreckbar geworden ist (vgl. Art. 9 Abs. 2 Satz 3 EGStGB; BGHZ 161, 60, 65 [juris Rz. 14]; BGH WM 2013, 711 Rz. 28). Ebenfalls zutreffend und von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen worden ist die Beurteilung des Beschwerdegerichts, die Verjährung habe nachfolgend gem. Art. 9 Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 EGStGB in der Zeit zwischen der Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen diesen Beschluss am 22.12.2014 und der Zustellung der hierauf ergangenen Entscheidung des Beschwerdegerichts am 7.4.2015 geruht (vgl. BGH GRUR 2012, 427 Rz. 8 bis 10 - Aufschiebende Wirkung). Dasselbe gilt für die Annahme des Beschwerdegerichts, die Vollstreckungsverjährung habe in der Zeit vom 23. März bis zum 9.5.2017 in Bezug auf alle verfahrensgegenständlichen Ordnungsmittel gem. Art. 9 Abs. 2 Satz 4 Nr. 2 EGStGB geruht, weil das Beschwerdegericht die Vollstreckung aus diesen Beschlüssen mit Beschluss vom 23.3.2017 für die Dauer von fünf Monaten, längstens bis zur Entscheidung des BVerfG über die Verfassungsbeschwerde des Betroffenen in dem Parallelverfahren vor dem Beschwerdegericht mit dem Aktenzeichen 2 W 74/16 ausgesetzt und das BVerfG diese Entscheidung am 9.5.2017 (vgl. BVerfG NJW-RR 2017, 957) getroffen habe.

Rz. 13

c) Die nach den vorstehenden Ausführungen im Dezember 2014 angelaufene und danach insgesamt rund fünf Monate lang ruhende Vollstreckungsverjährung wäre im Mai 2017 und damit vor der Einlegung der vorliegenden Rechtsbeschwerde am 4.8.2017, die als solche wiederum gem. §§ 575 Abs. 5, 570 Abs. 1 ZPO aufschiebende Wirkung gehabt und damit die Verjährung zum Ruhen gebracht hätte, nicht abgelaufen gewesen, wenn die Vollstreckungsverjährung auch seit dem vom Betroffenen am 25.8.2016 beim LG gestellten Antrag auf Haftverschonung gem. Art. 8 Abs. 2 EGBGB i.V.m. § 765a ZPO bis zur Ablehnung dieses Antrags mit dem dem Betroffenen am 27.12.2016 zugestellten Beschluss des LG vom 20.12.2016 erneut gem. Art. 9 Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 EGStGB zum Ruhen gebracht worden wäre. Das Beschwerdegericht ist von einem solchen weiteren Ruhen der Vollstreckungsverjährung ausgegangen. Dem kann jedoch nicht zugestimmt werden. Die Vollstreckbarkeit des im Beschluss des LG vom 11.12.2014 festgesetzten Ordnungsmittels kann daher nicht mit der vom Beschwerdegericht gegebenen Begründung bejaht werden.

Rz. 14

aa) Das Beschwerdegericht hat zu dem von ihm im Hinblick auf den Antrag des Betroffenen auf Haftverschonung auch für die Zeit vom 25. August bis zum 27.12.2016 angenommenen Ruhen der Vollstreckungsverjährung ausgeführt, das Vollstreckungshindernis, das zum Ruhen der Verjährung führe, könne sich auch aus einem anderen Gesetz als der Zivilprozessordnung und daher im Lichte der neueren Rechtsprechung zur Bedeutung der Grundrechte wie insb. des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit unmittelbar aus dem materiellen Verfassungsrecht ergeben. Zwar hindere ein verfahrensbezogener Antrag wie der vom Betroffenen hier gestellte Antrag auf Haftverschonung die Vollstreckung nicht, weil das Gesetz bei einem solchen Antrag anders als in § 570 Abs. 1 ZPO für die Beschwerde gegen die Festsetzung von Ordnungsmitteln und Zwangsmitteln keine aufschiebende Wirkung anordne. Bei einer mit einem solchen Antrag substantiiert geltend gemachten Gefahr für Leib und Leben im Falle der Fortsetzung der Vollstreckung könne aber das auch von den Vollstreckungsgerichten bei der Auslegung und Anwendung der vollstreckungsrechtlichen Verfahrensvorschriften zu berücksichtigende Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG jedenfalls dann die zeitweise Einstellung der Zwangsvollstreckung gebieten, wenn ein schwerwiegender Eingriff in dieses Grundrecht konkret zu besorgen sei und eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Interessen der an der Vollstreckung Beteiligten zu einem Vorrang der Belange des Schuldners führe. In entsprechenden Fällen bestehe unabhängig davon, ob ein förmlicher Beschluss über die Einstellung der Zwangsvollstreckung oder die Aussetzung der Vollziehung ergehe, ein Vollstreckungshindernis aus dem Grundrecht und damit "nach dem Gesetz", das die Vollstreckungsverjährung nach Art. 9 Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 EGStGB ruhen lasse.

Rz. 15

bb) Dieser Sichtweise kann nicht zugestimmt werden. Die Vollstreckungsverjährung von Ordnungsmitteln kann aus Gründen der Rechtssicherheit nur in den in Art. 9 Abs. 2 Satz 4 EGStGB - abschließend - geregelten Fällen ruhen, dass die Vollstreckung nach dem Gesetz nicht begonnen oder nicht fortgesetzt werden kann (Nr. 1), dass die Vollstreckung ausgesetzt worden ist (Nr. 2) oder dass dem Schuldner eine Zahlungserleichterung bewilligt (Nr. 3) worden ist. Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts kann die Vollstreckung nur dann i.S.v. Art. 9 Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 EGStGB "nach dem Gesetz" nicht begonnen oder nicht fortgesetzt werden, wenn diese Rechtsfolge im Gesetz ausdrücklich angeordnet ist. So bestimmt etwa § 570 Abs. 1 ZPO, dass die Beschwerde gegen die Festsetzung eines Ordnungs- oder Zwangsmittels aufschiebende Wirkung hat. Soweit das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die zeitweise Einstellung der Zwangsvollstreckung gebietet, ergibt sich das Vollstreckungshindernis nicht ausdrücklich aus dem Grundrecht und damit nicht aus dem Gesetz. Die Vollstreckung ist in derartigen Fällen allerdings auf Antrag des Betroffenen durch förmlichen Beschluss auszusetzen. Die Vollstreckungsverjährung ruht dann nach Art. 9 Abs. 2 Satz 4 Nr. 2 EGStGB. Gegen die vom Beschwerdegericht vertretene Ansicht spricht, dass sich die Auslegung von Vorschriften über die Verjährung - wie hier über das Ruhen der Verjährung - im Interesse der Rechtssicherheit grundsätzlich eng an den Wortlaut des Gesetzes anlehnen muss (st.Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 23.11.1994 - XII ZR 150/93, BGHZ 128, 74, 80 [juris Rz. 25] m.w.N.). Würde die Vollstreckung nach Art. 9 Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 EGStGB auch in gesetzlich nicht ausdrücklich geregelten Fällen ruhen, wäre es für den Schuldner - anders als bei einem nach dem Gesetz ausdrücklich bestimmten oder in einem Beschluss ausdrücklich angeordneten Vollstreckungshindernis - nicht klar erkennbar, ob und ggf. für welchen Zeitraum die Vollstreckungsverjährung geruht hat und ob das Ordnungsmittel noch gegen ihn vollstreckt werden kann oder bereits Vollstreckungsverjährung eingetreten ist. Das widerspräche seinem berechtigten Interesse an Rechtssicherheit.

Rz. 16

d) Danach kommt es für die Vollstreckung aus dem Beschluss vom 11.12.2014 entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts darauf an, ob und ggf. wie lange die Verjährung der Vollstreckung aus diesem Beschluss durch den Vergleich, den die Parteien am 7.5.2015 im Berufungsverfahren geschlossen haben, oder durch die nachfolgende Verfügung des LG vom 18.5.2015 oder auch durch die sofortige Beschwerde zum Ruhen gebracht worden ist, die der Betroffene am 10.1.2017 gegen den Beschluss des LG vom 20.12.2016 eingelegt hat. Das Beschwerdegericht hat diese Fragen ausdrücklich offen gelassen. Die für deren Beurteilung erforderlichen Feststellungen lassen sich in der Rechtsbeschwerdeinstanz nicht nachholen.

2. Vollstreckung aus dem Beschluss vom 24.2.2015

Rz. 17

Nach den vorstehend unter IV 1 dargestellten Grundsätzen ist die zweijährige Frist für die Vollstreckungsverjährung gem. Art. 9 Abs. 2 Satz 2 EGStGB bei dem im Beschluss des LG vom 24.2.2015 enthaltenen Ordnungsmittel mit der Zustellung dieses Beschlusses am 2.3.2015 angelaufen und hat nachfolgend gem. Art. 9 Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 und 2 EGStGB in der Zeit vom 17.3.2015 bis zum 26.5.2015 und dann nochmals in der Zeit vom 23.3.2017 bis zum 9.5.2017, d.h. insgesamt knapp vier Monate lang geruht. Sie ist daher spätestens im Juli 2017 abgelaufen. Damit ist die Vollstreckung des in dem Beschluss des LG vom 24.2.2015 festgesetzten Ordnungsmittels nicht mehr möglich.

Rz. 18

3. Vollstreckung aus dem Beschluss vom 20.4.2015

Rz. 19

Die Vollstreckung aus dem der Schuldnerin am 27.4.2015 zugestellten Ordnungsmittelbeschluss des LG vom 20.4.2015 hat in der Zeit vom 29.4.2015 bis zum 22.3.2016 und dann nochmals in der Zeit vom 23. März bis zum 9.5.2017 und damit insgesamt rund ein Jahr lang geruht. Die Frist für die Vollstreckungsverjährung von zwei Jahren gem. Art. 9 Abs. 2 Satz 2 EGStGB war daher in diesem Fall im Zeitpunkt der Einlegung der Rechtsbeschwerde am 4.8.2017, mit der diese Frist nunmehr erneut zum Ruhen gebracht worden ist, noch nicht abgelaufen gewesen. Dementsprechend hat das Rechtsmittel des Betroffenen in dieser Hinsicht keinen Erfolg und ist deshalb die vom Beschwerdegericht insoweit getroffene Entscheidung zu bestätigen.

Rz. 20

V. Danach ist der mit der Rechtsbeschwerde angefochtene Beschluss unter Zurückweisung des gegen die Vollstreckung aus dem Beschluss vom 20.4.2015 gerichteten Rechtsmittels (vgl. vorstehend unter IV 3) aufzuheben, soweit er die Vollstreckung aus den Ordnungsmittelbeschlüssen des LG vom 11.12.2014 und vom 24.2.2015 betrifft. Im Hinblick auf den letzteren Beschluss ist festzustellen, dass dieser nicht mehr vollstreckbar ist (vgl. vorstehend unter IV 2). Der vom Betroffenen insoweit gestellte Antrag ist zulässig (vgl. BGH WM 2013, 711 Rz. 20 in Verbindung mit 18 f.) und aus den vorstehend unter IV 2 dargestellten Gründen auch begründet. In Bezug auf den Beschluss vom 11.12.2014 hat das Beschwerdegericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen zu für die Frage der Vollstreckungsverjährung möglicherweise weiterhin relevanten Hemmungstatbeständen getroffen (vgl. vorstehend unter IV 1d). Da die entsprechenden Feststellungen im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht nachgeholt werden können, ist die Sache insoweit nicht zur Endentscheidung reif und deshalb an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

Rz. 21

VI. Die Festsetzung des Werts des Rechtsbeschwerdeverfahrens auf 42.500 EUR trägt dem Umstand Rechnung, dass nach dem angefochtenen Beschluss die Dauer der gegen den Betroffenen verhängten Ordnungshaft 170 Tage betragen sollte und für jeden Tag 250 EUR in Ansatz gebracht worden sind.

 

Fundstellen

Haufe-Index 12683676

NJW 2019, 9

NJW-RR 2019, 822

FA 2019, 80

WM 2019, 210

ZIP 2019, 733

DZWir 2019, 196

JZ 2019, 279

MDR 2019, 246

MDR 2019, 273

NZI 2019, 7

ZInsO 2019, 316

FoVo 2019, 127

InsbürO 2019, 275

ZVI 2019, 62

VIA 2019, 36

WiJ 2019, 139

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