Rz. 28

Problemfelder der Sonderregelung für Zweckgesellschaften können ggf. aus der Überschneidung von Rechtsvorschriften resultieren. So wurde durch das BilMoG auch erstmalig allgemein das wirtschaftliche Eigentum mittels § 246 Abs. 1 Satz 2 HGB kodifiziert. Auf diese Weise hätte die bilanzielle Berücksichtigung von Zweckgesellschaften bereits ausreichend geregelt sein müssen. Jedoch wurde zusätzlich die oben dargestellte Sonderregelung geschaffen, um durch eine Konkretisierung des Konzepts der Möglichkeit zur tatsächlichen Beherrschung eine unbefriedigende formale Betrachtung des Verhältnisses zu Zweckgesellschaften zu vermeiden.[1] Dabei ist jedoch fraglich, ob die beiden Zuordnungsvorschriften immer in Übereinstimmung zueinander stehen. So könnten z. B. Abweichungen der wirtschaftlichen Betrachtung im Bereich des Leasing auftreten, wenn im Einzelabschluss gem. den steuerlichen Leasingerlassen eine Zurechnung zum Leasinggeber erfolgt, auf Basis des Chancen-Risiken-Ansatzes jedoch der Leasingnehmer im Vordergrund steht.[2]

 

Rz. 29

Weitere Zuordnungsschwierigkeiten können aus § 290 Abs. 2 HGB selbst resultieren, sofern ein Konkurrenzverhältnis zwischen den formalrechtlichen Beherrschungskriterien (Nrn. 1–3) sowie dem Chancen-Risiken-Ansatz (Nr. 4) besteht, wenn bspw. ein weiteres Unternehmen neben dem Initiator zwar nicht über die Mehrheit der Chancen und Risiken an einer Zweckgesellschaft verfügt, jedoch eines der drei formalrechtlichen Beherrschungskriterien erfüllt. Aus dem Gesetz selbst lässt sich diesbezüglich nicht eindeutig ableiten, ob das Chancen-Risiken-Kriterium vorrangig anzuwenden ist, auch wenn es aufgrund seiner Sonderstellung als lex specialis für die Frage der Konsolidierung von Zweckgesellschaften gelten könnte. Unterstützt wurde diese Auslegung durch eine zuvor geltende Regelung in den IFRS. Aufgrund des damaligen Verhältnisses von IAS 27 und SIC 12 kam bei Beurteilung der Pflicht zur Konsolidierung einer Zweckgesellschaft den rechtlichen Beherrschungsmöglichkeiten keine Bedeutung zu, und es bestand eine Vorrangigkeit des Chancen-Risiken-Ansatzes. Entsprechend sollte für das HGB die gleiche Regelung gelten, zumal die Pflicht zur Berücksichtigung aller Konsolidierungserfordernisse regelmäßig zu einer Konsolidierung der Zweckgesellschaft durch mehrere Unternehmen führen würde und es eine solche Doppelkonsolidierung nach BilMoG gerade nicht mehr geben sollte.[3]

 

Rz. 30

Begründet wurde die Angleichung der nach § 290 Abs. 2 HGB geltenden Vorschriften an den zu dem Zeitpunkt gültigen IFRS-Standard und die gültige IFRS-Interpretation mit den in der großen Finanzkrise der Jahre 2007/2008[4] gemachten Erfahrungen.[5] Nachträglich lässt sich jedoch feststellen, dass sich die im Zuge des BilMoG erlassenen handelsrechtlichen Vorschriften an den seit dem Jahr 1998 gültigen SIC-12 anschmiegten, welcher den Auslösern der Finanzmarktkrise nichts entgegenzusetzen wusste. Zugleich fanden durch die Annäherung Unzweckmäßigkeiten des SIC-12 Einzug in die nationale Rechnungslegung, welche letztlich in den IFRS durch die Einführung des IFRS 10 behoben wurden. So öffnet beispielsweise die quantitative Grenze der wirtschaftlichen Betrachtungsweise des §290 Abs. 2 Nr. 4 HGB, die auf die Mehrheit der Risiken und Chancen abstellt, den Bilanzierenden ein Schlupfloch.[6] Im Fall, dass die rechtliche Betrachtungsweise nach § 290 Abs. 2 Nrn. 1–3 zu keiner Konsolidierungspflicht führt, kann eine Konsolidierung nach der wirtschaftlichen Betrachtungsweise umgangen werden, wenn die aus der Beteiligung an einer Zweckgesellschaft entstehenden Risiken und Chancen auf ausreichend viele Akteure verteilt werden. Eine „Heilung“ der Unzweckmäßigkeiten wäre lediglich durch eine weitere Annäherung der Konsolidierungsvorschriften nach HGB an die der IFRS zu erreichen.

 

Rz. 31

Sofern aus § 290 HGB der Nachweis eines Mutter-Tochter-Verhältnisses resultiert, ist der Jahresabschluss des wirtschaftlich abhängigen Tochterunternehmens gem. § 300 HGB im Konzernabschluss mit dem Jahresabschluss des Mutterunternehmens zusammenzufassen. An die Stelle der vom Mutterunternehmen gehaltenen Anteile treten im Zuge der Vollkonsolidierung alle Vermögensgegenstände, Schulden und Rechnungsabgrenzungsposten, soweit sie nach den Regeln des Mutterunternehmens bilanzierungsfähig sind. Sofern die neuen Vorschriften des § 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB zum erstmaligen Einbezug der Zweckgesellschaft in den Konsolidierungskreis führen, ist die Verrechnung gem. § 301 Abs. 2 HGB auf Basis der Wertansätze des Zeitpunkts, zu dem die Zweckgesellschaft Tochterunternehmen geworden ist, durchzuführen.

[1] Vgl. Mujkanovic, StuB 2009, S. 375.
[2] Vgl. Kozikowski/Ritter, in Grottel u. a., Beck’scher Bilanz-Kommentar, 7. Aufl. 2010, Rz. 76.
[3] Vgl. zu dieser Thematik Findeisen/Gabel/Klube, DB 2010, S. 969 ff.
[4] Zur Qualifizierung der Finanzkrise der Jahre 2007/2008 als Great Financial Crisis (GFC) vgl. Group of Central Bank Governors and Heads of Supervision, Pressemitteilung v. 30.11.202...

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