Leitsatz

1. In Kalenderjahren, in denen der Unternehmer sein Unternehmen beginnt, ist die Umsatzgrenze für das vorangegangene Kalenderjahr i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG maßgeblich.

2. Intensivpflegeleistungen, die eine GmbH durch ihren Gesellschafter-Geschäftsführer, einem examinierten Kranken- und Intensivpfleger, in Krankenhäusern ihrer Auftraggeberin ausführt, sind nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG von der Umsatzsteuer befreite Heilbehandlungsleistungen.

 

Normenkette

§ 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1, § 19 Abs. 3 Sätze 3 und 4, § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 8, § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG, § 4 Nr. 14 Buchst. b, § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG a.F., Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c 6. EG-RL (= EWGRL 388/77)

 

Sachverhalt

G, examinierter Kranken- und Intensivpfleger, gründete im Jahr 2012 eine GmbH (die spätere Klägerin), deren Unternehmensgegenstand u.a. die Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen umfasst.

Die Klägerin (und nicht mehr G persönlich) erbrachte ab November 2012 Intensivpflegeleistungen für die X-GmbH (X), ein Krankenhaus, im Schichtdienst. Die Klägerin handelte dabei durch den bei ihr angestellten Gesellschafter-Geschäftsführer G.

Die GmbH beanspruchte im Streitjahr (2012) die Kleinunternehmerregelung (§ 19 UStG). Sie erklärte gemäß § 19 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 UStG a.F. nicht zum Gesamtumsatz zu rechnende (nach § 4 Nr. 14 UStG steuerbefreite) Umsatzerlöse i.H.v. 15.179 EUR.

Das FA folgte dem nicht. Es nahm an, die als steuerfrei deklarierten Umsätze seien steuerpflichtig und die Kleinunternehmerregelung daher nicht anwendbar. Der Einspruch der Klägerin blieb ebenso ohne Erfolg wie die Klage (Niedersächsisches FG, Urteil vom 22.8.2018, 5 K 237/16, Haufe-Index 13586740, EFG 2020, 313).

 

Entscheidung

Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies den Rechtsstreit an das FG zurück. Die Intensivpflegeleistungen der Klägerin sind zwar steuerfrei und die Klägerin kann daher die Kleinunternehmerregelung in Anspruch nehmen. Das FG muss aber noch prüfen, wie die Klägerin ihre Leistungen gegenüber der X-GmbH abgerechnet hat, um eine mögliche Steuerschuld der Klägerin nach § 14c UStG auszuschließen.

Der BFH hat dabei § 14c Abs. 1 UStG zitiert, weil für einen steuerfreien Umsatz USt ausgewiesen sein könnte. M. E. ist aber § 14c Abs. 2 UStG vorrangig, weil die Klägerin Kleinunternehmerin ist (vgl. BFH, Urteil vom 25.9.2013, XI R 41/12, BFH/NV 2014, 134, BStBl II 2014, 135, Rz. 11, BFH/PR 2014, 56).

 

Hinweis

Das Besprechungsurteil enthält zwei Kernaussagen, die auch für andere Fälle von Bedeutung sind:

1. Verfahrensrechtlich bestätigt der BFH, dass bei unterjähriger Gründung eines Unternehmens im Gründungsjahr zur Ermittlung, ob die Kleinunternehmerregelung (§ 19 UStG) anwendbar ist, eine Hochrechnung des tatsächlichen Umsatzes auf einen Gesamtjahresumsatz vorzunehmen ist. Dieser darf die Umsatzgrenze von 17.500 EUR (bis 2019) bzw. 22.000 EUR (ab 2020) nicht überschreiten. Im Urteilsfall ergab sich:

  • maßgebliche Umsatzgrenze (altes Recht, Streitjahr: 2012): 17.500 EUR;
  • tatsächlicher Umsatz bei Steuerpflicht (9/2012 bis 12/2012): 12.755 EUR;
  • fiktiver Gesamtjahresumsatz bei Steuerpflicht: 38.265 EUR (12/4 von 12.755 EUR).

Die Anwendung der Kleinunternehmerregelung wäre daher bei Steuerpflicht der Umsätze der Klägerin ausgeschlossen gewesen. Es kam deshalb darauf an, ob ihre Umsätze steuerpflichtig waren oder nicht.

2. Materiell-rechtlich hat der BFH klargestellt, dass eine GmbH, die durch ihren Gesellschafter-Geschäftsführer, der examinierter Krankenpfleger ist, Intensivpflegeleistungen in einem Krankenhaus erbringt, nach § 4 Nr. 14 Buchst. a (!)UStG umsatzsteuerfreie Heilbehandlungen ausführt. Dies ergibt sich aus der Addition der EuGH-Urteile vom 10.9.2002, C-141/00, Kügler (EU:C:2002:473, Haufe-Index 838417, BFH/NV Beilage 2003, 30) und vom, 18.9.2019, C-700/17, Peters (EU:C:2019:753, Haufe-Index 13407698). Dass die Leistung in einem Krankenhaus erbracht wird, hindert die Anwendung des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG ebenso wenig wie der Umstand, dass Vertragspartner der Klägerin das Krankenhaus war.

Geänderte Verhältnisse – andere rechtliche Beurteilung?

Möglicherweise wird der Fall die Rechtsprechung mit einem späteren Streitjahr erneut beschäftigen: Ändert sich an dieser Beurteilung in späteren Jahren etwas, in denen die Klägerin weitere examinierte Krankenpfleger anstellt und mit diesen ebenfalls Intensivpflegeleistungen in Krankenhäusern erbracht hat? Wo verläuft die Grenze zwischen umsatzsteuerfreier Heilbehandlung durch die GmbH in einem Krankenhaus und umsatzsteuerpflichtiger Personalgestellung an das Krankenhaus (vgl. dazu EuGH-Urteil vom 12.3.2015, C-594/13, go fair, EU:C:2015:164, Haufe-Index 7678925, BFH/NV 2015, 782)?

Der BFH hat dies in Rz. 38 des Besprechungsurteils offengelassen.

M. E. sprechen jedoch sowohl die Rz. 32, 35, 36 und 37 des Besprechungsurteils als auch das BFH-Urteil vom 24.6.2020, V R 21/19 (BFH/NV 2020, 1398, BFH/PR 2021, 28) für eine Steuerbefreiung, falls ...

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