Rz. 9

Hinsichtlich des Umfangs der Verbindlichkeitenerfüllung war der BGH in seiner Entscheidung vom 24.5.2005[1] bemüht, handhabbare Feststellungskriterien zu entwickeln. Im Hinblick auf eine Feststellung der Wesentlichkeit steht dabei eine 10 %-Grenze im Mittelpunkt der Betrachtung (vgl. Rz. 2).

Diese Quantifizierung will der BGH jedoch nicht als starre Grenze verstanden wissen und formuliert daher: "(…) Allerdings hat der Gesetzgeber mit Recht davor gewarnt, ‚Zahlungsunfähigkeit erst anzunehmen, wenn der Schuldner einen bestimmten Bruchteil der Gesamtsumme seiner Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen kann.‘ Dies spricht jedoch nur dagegen, eine starre zahlenmäßige Grenze einzuführen, die automatisch über das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit entscheidet. Eine starre Grenze hätte auch der Gesetzgeber einführen können. Da er davon abgesehen hat, wollte er offensichtlich für die Rechtsanwendung eine gewisse Flexibilität ermöglichen. Würde beispielsweise angenommen, bei einer Unterdeckung von weniger als einem bestimmten Vomhundertsatz läge keine Zahlungsunfähigkeit vor, beim Erreichen dieses Vomhundertsatzes jedoch stets, bliebe unberücksichtigt, dass derartige Quoten für sich allein genommen keine abschließende Bewertung eines wirtschaftlich komplexen Sachverhalts wie der Zahlungsunfähigkeit erlauben. (…) Daher kommt die Einführung eines prozentualen Schwellenwerts nur in der Form in Betracht, dass sein Erreichen eine widerlegbare Vermutung für die Zahlungsunfähigkeit begründet."[2]

 

Rz. 10

Diesen prozentualen Schwellenwert setzt der IX. Senat bei einer Liquiditätslücke i. H. v. 10 %. Danach liegt regelmäßig keine Zahlungsunfähigkeit vor, wenn die Liquiditätslücke des Schuldners weniger als 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten beträgt. Allerdings kann eine definitive Verneinung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit nicht einzig und allein auf das Vorhandensein einer so quantifizierten Liquiditätslücke abstellen. Als weiterer zu berücksichtigender Grund kann die Tatsache gelten, dass sich nach begründeten Erwartungen eine positive Entwicklung des Schuldnerunternehmens fortsetzen wird.[3]

Andererseits gilt auch, dass eine Unterdeckung von weniger als 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten gleichwohl zur Feststellung einer Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens führt, wenn der Fortgang einer negativen Unternehmensentwicklung konstatiert werden muss. Dies ist auch zu berücksichtigen, wenn der praktische Fall auftritt, dass eine zunächst unwesentliche Liquiditätsunterdeckung auf Dauer besteht und im Zeitverlauf ansteigend ist. Hier kann zumindest in einer Ex-post-Betrachtung der Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit auf den Beginn der Liquiditätslücke gesetzt werden, der dann zugleich den Startpunkt einer kontinuierlich negativen Unternehmensentwicklung darstellt.

In dieser Richtung argumentiert auch der IX. Senat des BGH in seiner Entscheidung vom 12.10.2006, wenn er diesbezüglich herausstellt: "Beträgt die innerhalb von 3 Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke der Schuldnerin weniger als 10 % ihrer fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auszugehen, es sei denn, es ist bereits absehbar, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird."[4] Ein solches Ansteigen der Deckungslücke kann sich eben infolge einer weiterhin fortbestehenden negativen Unternehmensentwicklung ergeben. Wenn sich also der wirtschaftliche Niedergang des Schuldners fortsetzt.[5]

Da das Erreichen einer Liquiditätslücke i. H. v. 10 % oder mehr der fälligen Gesamtverbindlichkeiten lediglich eine widerlegbare Vermutung für das Vorhandensein einer Zahlungsunfähigkeit darstellt, muss der Geschäftsführer eines Unternehmens zumindest dann konkrete Zahlungsfähigkeitsindizien vortragen, wenn er trotz Erreichens oder Überschreitens der 10 %-Grenze von einer weiterhin bestehenden Zahlungsfähigkeit des Unternehmens ausgeht.[6]"Dazu ist in der Regel die Benennung konkreter Umstände erforderlich, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, dass die Liquiditätslücke zwar nicht innerhalb von 2 bis 3 Wochen – dann läge eine Zahlungsstockung vor –, jedoch immerhin in überschaubarer Zeit beseitigt werden wird."[7] Die 10 %-Grenze erlangt nach Ansicht des IDW ferner Bedeutung für den Sicherheitsgrad, mit dem die Schließung der Lücke innerhalb des vom BGH zugestandenen Prognosezeitraums zu fordern ist. Je höher die anfängliche Unterdeckung und je länger der Prognosezeitraum ist, umso größere Gewissheit ist für den Eintritt und den zeitlichen Verlauf der Besserung der Liquiditätslage zu fordern.[8]

 

Rz. 11

Hinsichtlich der Frage, wie eine geringfügige Unterdeckung zu beurteilen ist, die auf Dauer bestehen bleibt, führt der BGH weiter aus: "Verhindert eine insgesamt gesehen geringfügige Unterdeckungsquote die Annahme der Zahlungsunfähigkeit, kann dies konkret von der Unterdeckung betroffene Gläubiger auch erheblich benachteiligen, weil sie nicht mit Aussicht auf Erfolg einen Insolvenzantrag stellen k...

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