Leitsatz

Zahlungen aufgrund einer Haftung wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung Dritter können bei einem GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer zu Erwerbsaufwendungen führen.

 

Normenkette

§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG , § 12 Nr. 1 EStG , § 71 AO

 

Sachverhalt

Der Kläger (GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer) erzielte Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit und aus Kapitalvermögen. Seine GmbH betrieb einen Großhandel u.a. für Lebensmittel. Einkaufsberechtigt waren nur Wiederverkäufer. Auf deren Veranlassung und Druck hatte der Kläger verschiedenen Wiederverkäufern sog. Barverkaufsrechnungen ausgestellt. Dies ermöglichte diesen, Schwarzgeld zu erlösen.

Der Kläger wurde wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren auf Bewährung verurteilt. Bei der Strafzumessung wurde auch berücksichtigt, dass die genannten Schwarzumsätze bei der GmbH ordnungsgemäß versteuert wurden und der Kläger aus seinem unrechtmäßigen Verhalten keinen eigenen Vorteil gezogen hatte. Überdies wurde der Kläger vom FA mit verschiedenen Bescheiden, die auf § 71 AO gestützt wurden, für die Steuerschulden verschiedener Wiederverkäufer in Haftung genommen.

In seiner ESt-Erklärung machte der Kläger die gezahlten Haftungsbeträge i.H.v. rd. 570.000 DM als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbtständiger Arbeit geltend. Das FA lehnte dies ab. Die Klage scheiterte ebenfalls. Das FG meinte, es handele sich bei den gezahlten Haftungsbeträgen um private Lebensführungskosten.

 

Entscheidung

Der BFH hob die Vorentscheidung auf. Von Kosten der privaten Lebensführung könne keine Rede sein. Aus dem – vom FG in Bezug genommenen – Strafurteil ergebe sich eindeutig, dass das steuerunehrliche Verhalten des Klägers (ausschließlich) erwerbsbezogene Motive gehabt habe. Der Kläger sei dem rechtswidrigen Ansinnen der Wiederverkäufer deshalb nachgekommen, um Umsatzeinbußen zu Lasten der GmbH zu vermeiden, den Kundenstamm der GmbH zu erhalten und auszubauen bzw. der bestehenden Konkurrenzsituation zwischen der GmbH und anderen Großhandelsbetrieben standzuhalten.

Gesetzliche Abzugsverbote (vgl. z.B. § 4 Abs. 5 Nr. 8 und 8a EStG i.V.m. § 9 Abs. 5 EStG) lägen nicht vor. Das FG werde im 2. Rechtsgang insbesondere zu prüfen haben, ob die Zahlungen des Klägers als Werbungskosten bei dessen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit und/oder bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu beurteilen sind.

 

Hinweis

1. Es erstaunt immer wieder, wie schnell Aufwendungen eines Steuerpflichtigen dem Bereich der privaten Lebensführung zugewiesen werden; dies gilt insbesondere dann, wenn – wie hier – Aufwendungen strafbare Handlungen zugrunde liegen bzw. moralische Wertungen in die rechtliche Beurteilung hineinspielen.

2. Indes: Für die Einordnung von Aufwendungen diesseits oder jenseits der Grenze des § 12 Nr. 1 EStG sind auf das Verschulden, die Strafbarkeit oder das moralische Verhalten des Steuerpflichtigen abzielende Wertungen ungeeignet, weil die Besteuerung sich grundsätzlich wertungsindifferent nur nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit richtet (vgl. auch § 40 AO und das objektive Nettoprinzip). Demgemäß entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass auch schuldhaft verursachte Kosten Erwerbsaufwendungen sein können. Ebenfalls können strafbare Handlungen, die im Zusammenhang mit einer betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit stehen, Erwerbsaufwendungen begründen (bzw. Schadenersatzverpflichtungen zu Betriebsschulden bzw. Rückstellungen führen).

3. Entscheidend ist in solchen Fällen allein, dass die – die Aufwendungen auslösenden – schuldhaften Handlungen (noch) im Rahmen der betrieblichen oder beruflichen Aufgabenerfüllung liegen und nicht auf privaten, den betrieblichen oder beruflichen Zusammenhang aufhebenden Umständen beruhen.

4. Ein hinreichender Erwerbszusammenhang kann deshalb auch dann vorliegen, wenn – wie im Streitfall – ein GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer Zahlungen auf einen gegen ihn erlassenen Haftungsbescheid leistet, der seine Grundlage in § 71 AO hat (Haftung wegen Beihilfe an einer Steuerhinterziehung eines Dritten). Erforderlich ist allerdings, dass sich die deliktische Pflichtverletzung (noch) innerhalb der einkommensteuerlich relevanten Erwerbssphäre bewegt.

5. Wichtig sind auch die Ausführungen des BFH zu § 71 AO. Sinn und Zweck dieser Norm stehen einer Berücksichtigung von Zahlungen als Erwerbsaufwendungen nicht entgegen. § 71 AO stellt keine zusätzliche Strafsanktion für steuerunehrliches Verhalten dar, sondern will – insoweit wie § 69 AO – allein den durch die Hinterziehungshandlung verursachten Vermögensschaden des Fiskus ausgleichen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 9.12.2003, VI R 35/96

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