Rz. 5

Bezüglich der Interpretation des Wirtschaftsgutsbegriffs lassen sich 2 Phasen unterscheiden. Bis zum Jahr 1969 erfolgte, Bezug nehmend auf § 6 EStG, "eine eigenständige steuerrechtliche Interpretation unter offener Abweichung vom handelsbilanziellen Vermögensgegenstandsbegriff",[1] die jedoch mit der Änderung des Einkommensteuergesetzes im Jahre 1969 und der damit verbundenen Verankerung der Maßgeblichkeit handelsrechtlicher Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung für die steuerliche Bilanzierung in § 5 Abs. 1 EStG wieder aufgehoben wurde.

Zwar ist der Begriff des Wirtschaftsgutes – trotz Verwendung in verschiedenen Steuergesetzen – gesetzlich nicht definiert, für seine Auslegung kann in der zahlreich vorhandenen Literatur aber auf die umfassende Rechtsprechung des RFH und des BFH zurückgegriffen werden.[2] Nach der Rechtsprechung von RFH und BFH sind für ein Wirtschaftsgut folgende Kriterien erforderlich:[3]

  • Entstehen von Aufwendungen: Der Begriff der Aufwendungen kann nicht im betriebswirtschaftlichen Sinne ausgelegt werden, sondern ist dahingehend zu interpretieren, dass sich "Aufwendungen" im Sinne der Rechtsprechung "immer auf eine Ausgabe zurückführen" lassen, die ihrerseits "früher, zeitgleich oder später erfolgen" kann.[4] Das Kriterium der Aufwandsentstehung ist in der Weise zu interpretieren, dass eine Ausgabe oder eine geldwerte Leistung gegeben und einem Gegenstand wertmäßig zurechenbar sein muss.
  • Vorliegen eines zukünftigen Nutzens: Nicht die Ausgabe als solche ist zu aktivieren, sondern der mit der Ausgabe erlangte Vorteil; dessen Vorhandensein wird zwar grundsätzlich der Einschätzung des Unternehmens überlassen, zur Überprüfung dessen wird aber darauf abgestellt, ob ein über den Bilanzstichtag hinausgehender Nutzen vorliegt.[5]
  • Selbstständige Bewertbarkeit: Einem Wirtschaftsgut muss ein Wert unmittelbar zugerechnet werden können. In der Rechtsprechung wird ein fiktiver Erwerber des gesamten Betriebes herangezogen, bei dem geprüft wird, ob er "einen durch Aufwendungen geschaffenen Gegenstand für so greifbar und so wertvoll halten würde, dass er dafür im Rahmen des gesamten Kaufpreises ein besonderes Entgelt ansetzen würde".[6] In neuerer Zeit wird das Kriterium der selbstständigen Bewertbarkeit von der Rechtsprechung im Sinne eines Objektivierungskriteriums aufgefasst, das im Rahmen des Merkmals der Greifbarkeit vor allem die Konkretisierung eines Vorteils als Recht oder als rechtsähnliche Position, die Bestimmbarkeit eines greifbaren Ausgabengegenwertes, die Zurechenbarkeit von Anschaffungs- oder Herstellungskosten und den Zugang eines Aktivums – nicht nur den Abgang eines Passivums – beinhaltet.[7]
 

Rz. 6

Ziel dieses Kriteriums ist es, eine Objektivierung des Begriffs "Wirtschaftsgut" zu erreichen, wozu seine Konkretisierung durch die Rechtsprechung erforderlich ist.[8] Während traditionell – vor allem in der Rechtsprechung des RFH – die gesonderte Wertzurechenbarkeit bei unterstellter Übertragung eines gesamten Unternehmens und somit der Gedanke der Gesamtübertragbarkeit (Veräußerbarkeit im Zusammenhang mit dem gesamten Unternehmen) zum Tragen kommt, wird in neuerer Zeit die Objektivierung durch das Erfordernis der Konkretisierung als Recht oder als rechtsähnliche Position bzw. durch eine vertragliche Vorteilseinräumung – wie z. B. bei Bierlieferungsverträgen – angestrebt. Bei der Gesamtbetrachtung der neueren Rechtsprechung zeigt sich, dass als Hauptkonkretisierungsmerkmale die entstandenen "Aufwendungen" – auch als Zugangskontrolle im Rahmen der selbstständigen Bewertbarkeit – und die Greifbarkeit gesehen werden und dass die Tendenz besteht, vorhandenen Rechten – auch wenn sie nicht einzeln veräußert werden können – nicht die Eigenschaft eines Wirtschaftsgutes abzusprechen. Dieser Rechtsprechung hat sich mittlerweile auch die Finanzverwaltung angeschlossen, die den Begriff des Wirtschaftsguts in H 4.2 EStH unter Verweis auf das BFH-Urteil v. 19.6.1997[9] wie folgt interpretiert: "Wirtschaftsgüter sind Sachen, Rechte oder tatsächliche Zustände, konkrete Möglichkeiten oder Vorteile für den Betrieb, deren Erlangung der Kaufmann sich etwas kosten lässt […]." Ferner konkretisiert der BFH in Anlehnung an die Teilwertdefinition aus § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG, dass "Wirtschaftsgüter alle Sachen, Rechte, tatsächliche Zustände und konkrete Möglichkeiten [sind; d. Verf.], die entweder einzeln oder zusammen mit dem Betrieb übertragen werden können und aus der Sicht eines potentiellen Betriebserwerbers einen eigenständigen Wert haben."[10]

[1] Ley, Der Begriff "Wirtschaftsgut" und seine Bedeutung für die Aktivierung, 2. Aufl. 1987, S. 214.
[2] Vgl. Kußmaul, Nutzungsrechte an Grundstücken in Handels- und Steuerbilanz, 1987, S. 44 ff.; Wöhe, Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Band I 2. Halbband, 7. Aufl. 1992, S. 17 ff.
[3] Vgl. Eibelshäuser, Immaterielle Anlagewerte in der höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung, 1983, S. 75 ff.; Freericks, Bilanzierungsfähigkeit und Bilanzierungspflicht in Handels-...

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