Leitsatz

1. Steuerbescheide, mit denen eine positive Steuer festgesetzt wird, können ausnahmsweise auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam ergehen, wenn sich unter Berücksichtigung von Anrechnungsbeträgen insgesamt ein Erstattungsbetrag ergibt und auch keine Besteuerungsgrundlagen festgestellt werden, die die Höhe von Steuerforderungen beeinflussen, welche zur Tabelle anzumelden sind.

2. Wird die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt, entsteht ein Auflösungsverlust nach § 17 Abs. 4 EStG nicht bereits zu dem Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Bestätigung des Senatsurteils vom 13.03.2018 ‐ IX R 38/16, BFH/NV 2018, 721).

 

Normenkette

§ 125 Abs. 1, § 251 Abs. 2 Satz 1 AO, § 87 InsO, § 17 Abs. 4 EStG

 

Sachverhalt

A war Alleingesellschafter der A-GmbH, die wiederum 100 % der Anteile an der B-GmbH hielt. Die B-GmbH wurde insolvent. Der im Dezember 2014 für die A-GmbH gestellte Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde im Februar 2015 mangels Masse abgelehnt. Über das Vermögen des A wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Das FA setzte im Streitjahr 2014 gegen A und seine Ehefrau erklärungsgemäß die ESt auf 28.942 EUR fest. Nach Anrechnung einbehaltener LSt und KapESt ergab sich eine Erstattung von 2.454 EUR. Dagegen legte der Insolvenzverwalter des A erfolglos Einspruch ein. Er begehrte zum einen die Berücksichtigung des Verlusts aus der Auflösung der A-GmbH und zum andern die Aufhebung des Steuerbescheids aus formalen Gründen. Das FG hat die Klage abgewiesen (FG Düsseldorf, Urteil vom 4.10.2018, 11 K 1921/16 E, Haufe-Index 12466857, EFG 2018, 2055).

 

Entscheidung

Auch die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Der BFH hat entschieden, dass das FA den angefochtenen Steuerbescheid nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlassen durfte und dass er auch materiell rechtmäßig war, weil der geltend gemachte Auflösungsverlust jedenfalls im Streitjahr noch nicht entstanden war.

 

Hinweis

Das Besprechungsurteil beleuchtet einmal mehr die Schnittstelle zwischen dem Insolvenz- und dem steuerlichen Verfahrensrecht. Vordergründig ging es nur um die Frage, ob ein Steuerbescheid noch ergehen durfte. Dahinter verbargen sich aber auch komplizierte materielle Fragen, die der Senat in seinem Beiladungsbeschluss vom 30.6.2020, IX R 27/18, BStBl II 2021, 314, BFH/PR 2021, 139) zumindest angedeutet hatte.

1. Seit Einführung der InsO (1999) hat das Insolvenzrecht Vorrang vor dem steuerlichen Verfahrensrecht. Das FA muss – wie jeder andere Insolvenzgläubiger – nach Eröffnung des Verfahrens seine Insolvenzforderungen zur Tabelle anmelden und kann sie nicht mehr selbst titulieren. Es darf folglich keine Steuerbescheide mehr erlassen, in denen Insolvenzforderungen festgesetzt werden. Solche Bescheide sind wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig. Das Titulierungsverbot gilt auch für das Feststellungsverfahren. Besteuerungsgrundlagen, die sich auf Insolvenzforderungen auswirken können, dürfen nicht mehr gesondert festgestellt werden.

2. Das Verbot ist streng. Eine Auswirkung auf Insolvenzforderungen muss nicht feststehen. Ein Steuer- oder Feststellungsbescheid ist schon dann nichtig, wenn er nur "abstrakt geeignet ist, sich auf möglicherweise als Insolvenzforderungen anzumeldende Steueransprüche auszuwirken". Dieser vom BFH geprägte Maßstab, den der IX. Senat nicht infrage stellt, schließt den Erlass von Steuerbescheiden nach Insolvenzeröffnung grundsätzlich aus.

  1. Gleichwohl hatte der BFH in der Vergangenheit bereits zwei Ausnahmen von der Regel identifiziert und akzeptiert:

    aa) Rechtlich möglich war (vor der Einführung von § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG) der Erlass eines auf 0 EUR lautenden Steuerbescheids (Steuerfestsetzung: 0 EUR), weil in ihm gerade eine Insolvenzforderung verneint wird. Einem solchen Bescheid fehlt die abstrakte Eignung, sich auf eine anzumeldende Forderung auszuwirken. Ob dies nach Einführung von § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG noch gilt, war bisher offen, wird aber wohl nach dem Besprechungsurteil zu bejahen sein (dazu weiter unten).

    bb) Gleiches gilt für einen USt-Bescheid, in dem unter Berücksichtigung von VSt-Erstattungsansprüchen eine negative Zahllast (oder eine Zahllast von 0 EUR) festgesetzt wird. Hintergrund ist dabei, dass der BFH den VSt-Erstattungsanspruch als unselbstständige Berechnungsgrundlage der USt behandelt. Die festzusetzende USt ergibt sich also erst nach Berücksichtigung von VSt-Erstattungsansprüchen.

  2. Das Besprechungsurteil fügt dieser Liste nun einen weiteren Ausnahmefall hinzu. Nach Insolvenzeröffnung ist nun auch der Erlass eines Steuerbescheids möglich, in dem zwar eine (positive) Steuerforderung festgesetzt wird, dessen Anrechnungsteil aber unter Berücksichtigung höherer Anrechnungsansprüche (z.B. aus einbehaltener LSt oder KapESt) einen Erstattungsanspruch ergibt bzw. kein Leistungsgebot enthält. Entsprechendes wird gelten, wenn sich nach Anrechnung eine Zahllast von 0 EUR ergibt.

    aa) Zwar fi...

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