Leitsatz

Der Verzicht auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG kann widerrufen werden, solange die Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung noch anfechtbar oder noch nach § 164 AO änderbar ist. § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG i.d.F. des Haushaltsbegleitgesetzes 2004 regelt den Widerruf nicht.

 

Normenkette

§ 4 Abs. 9 Buchst a, § 9 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2, § 15a Abs. 1 UStG, Art. 137 Abs. 2 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)

 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine GmbH, erwarb 2009 von A ein Grundstück in X. A verzichtete im Vertrag auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG.

Die Klägerin zog die sich daraus ergebende, gemäß § 13b UStG von ihr geschuldete Steuer in voller Höhe als Vorsteuer ab. Eine Zahllast ergab sich nicht.

Die Klägerin verkaufte im Jahr 2011 eine Teilfläche des Grundstücks umsatzsteuerfrei. 2012 vereinbarten A und die Klägerin deshalb die Rückgängigmachung des im Grundstückskaufvertrag erklärten Verzichts auf die Steuerbefreiung.

In ihrer USt-Erklärung für das Jahr 2011 erklärte die Klägerin eine steuerfreie Grundstückslieferung. Eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs aus dem Erwerb von A nahm sie nicht vor. Die Steuererklärung des Jahres 2009 blieb ebenfalls unverändert.

Nach einer Außenprüfung hielt die Finanzverwaltung die 2012 erfolgte Rückgängigmachung des im Jahr 2009 erklärten Verzichts für unwirksam und berichtigte für das Jahr 2011 den Vorsteuerabzug des Jahres 2009 (§ 15a Abs. 2 UStG). Der Vorbehalt der Nachprüfung des USt-Bescheids für 2009 wurde gleichzeitig aufgehoben. Ein Einspruch blieb erfolglos.

Die Vorinstanz (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 1.8.2019, 1 K 3115/18, Haufe-Index 13702164, EFG 2020, 168) gab der Klage statt.

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision des FA einstimmig als unbegründet zurück.

 

Hinweis

1. Bei der Lieferung von Grundstücken außerhalb des Zwangsversteigerungsverfahrens kann der Verzicht auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 9 Buchst. a UStGnur in dem gemäß § 311b Abs. 1 BGB notariell zu beurkundenden Vertrag erklärt werden (§ 9 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 UStG).

2. Trotz dieses eindeutigen Gesetzeswortlauts war bei manchen die Überraschung groß, als der BFH entschied, dass ein späterer Verzicht auf die USt-Befreiung auch dann unwirksam ist, wenn er notariell beurkundet wird (BFH, Urteil vom 21.10.2015, XI R 40/13, BFH/NV 2016, 353, BStBl II 2017, 852). Das Gesetz stellt nicht (nur) ein Formerfordernis auf, sondern legt (auch) den Verzichtszeitpunkt fest.

3. Die Finanzverwaltung zog daraus in Abschn. 9.2 Abs. 9 Satz 3 UStAE den Schluss, dass Gleiches für die Rücknahme des Verzichts auf die USt-Befreiung gelte. Das BMF ging wohl von dem Grundsatz aus, dass für einen "actus contrarius" nichts anderes gelten könne als für den Rechtsakt selbst.

4. Dem ist der BFH nun mit dem Besprechungsbeschluss unter Hinweis auf den (auch insoweit eindeutigen) Gesetzeswortlaut entgegengetreten: § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG gilt nur für den Verzicht und nicht für dessen Rücknahme. Für die Rücknahme gilt (weiter), dass der Verzicht zurückgenommen werden kann, wenn der USt-Bescheid (hier: des Leistungsempfängers) noch nicht materiell bestandskräftig ist, z.B. unter einem (noch wirksamen) Vorbehalt der Nachprüfung steht (vgl. BFH, Urteil vom 21.10.2015, XI R 40/13, BFH/NV 2016, 353, BStBl II 2017, 852, Rz. 22). Nur diese Auslegung entspricht dem Grundsatz, dass Ausnahmevorschriften eng auszulegen sind. Jede andere Auslegung hätte die Rücknahme eines einmal erklärten Verzichts unmöglich gemacht.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 2.7.2021 – XI R 22/19

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