Leitsatz

1. § 171 Abs. 3a Satz 3 AO erweitert die Ablaufhemmung des Rechtsbehelfsverfahrens, sofern das Gericht keine abschließende Sachentscheidung trifft und ein weiteres Tätigwerden der Finanzbehörde zur Umsetzung der gerichtlichen Entscheidung erforderlich ist.

2. Das Gericht trifft keine abschließende Sachentscheidung, wenn es den angefochtenen Bescheid aus Gründen aufhebt, die dem Bescheid selbst anhaften und die nicht den der Steuerfestsetzung zugrunde liegenden Steueranspruch betreffen.

 

Normenkette

§ 169 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 1, § 171 Abs. 3a AO

 

Sachverhalt

Die Kläger sind die Erben ihrer 2002 verstorbenen Mutter (M). Der 1984 verstorbene Vater (V) hatte seine Kinder als Erben eingesetzt und M mit Vermächtnissen bedacht. Mit in vollem Umfang gem. § 165 Abs. 1 AO vorläufigen Bescheid vom 23.11.1988 setzte das FA gegen M Erbschaftsteuer i.H.v. 629.496 DM fest. Gegen den Bescheid legte M Einspruch ein. Während des Einspruchsverfahrens erging am 9.12.1999 ein für endgültig erklärter Änderungsbescheid, mit dem das FA die Erbschaftsteuer heraufsetzte. Auf die dagegen erhobene Klage setzte das FG die Steuer auf rund 1 Mio. DM herab. Im Verlauf des Revisionsverfahrens gegen dieses Urteil erließ das FA einen Änderungsbescheid, in dem es die Steuer auf den ursprünglichen Betrag i.H.v. 321.846 EUR (629.476,06 DM) festsetzte. Der BFH gab der Revision mit Urteil vom 9.12.2009, II R 39/07 (BFH/NV 2010, 821) vollumfänglich statt und hob die Vorentscheidung, den während des Einspruchsverfahrens ergangenen Änderungsbe­scheid, die Einspruchsentscheidung, den im Revisionsverfahren ergangenen Änderungsbescheid und den ursprünglichen Bescheid auf. Nach den Urteilsgründen waren die Voraussetzungen für den während des Revisionsverfahrens ergangenen Änderungsbescheid nicht erfüllt. Der Änderungsbe­scheid vom 9.12.1999 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung hätten wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht mehr ergehen dürfen. Der dem ursprünglichen Bescheid vom 23.11.1988 beigefügte Vorläufigkeitsvermerk sei, weil § 165 Abs. 1 AO eine Vorläufigkeit zur Gänze nicht vorsehe, rechtswidrig gewesen.

Das FA erließ am 8.4.2010 unter Verweis auf § 171 Abs. 14 AO gegen die Kläger einen Erbschaftsteuerbescheid wegen des Erwerbs der M nach dem 1984 verstorbenen V und setzte die Erbschaftsteuer erneut auf 321.846 EUR (629.476,06 DM) fest. Die Sprungklage wies das FG ab, weil dem angefochtenen Bescheid keine Festsetzungsverjährung entgegenstand (FG Nürnberg, Urteil vom 19.5.2011, 4 K 632/10, Haufe-Index 2746665, EFG 2011, 1951).

 

Entscheidung

Der BFH ist dem gefolgt und hat die Revision der Kläger als unbegründet zurückgewiesen. Das BFH-Urteil in BFH/NV 2010, 821 habe zu einer ersatzlosen Aufhebung des Ursprungsbescheids nicht wegen Festsetzungsverjährung, sondern allein aus formellen Gründen geführt. Wegen der Anwendbarkeit des § 171 Abs. 3 Satz 3 AO konnte der BFH offenlassen, ob im Streitfall auch § 171 Abs. 14 AO zu einer Verlängerung der Festsetzungsfrist geführt hat.

 

Hinweis

Die Anfechtung eines vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist ergangenen Steuerbescheids bewirkt nach § 171 Abs. 3a AO eine Ablaufhemmung. Diese endet, sobald über den Rechtsbehelf unanfechtbar entschieden ist. Im Ergebnis kann sich daraus u.U. eine Festsetzungsfrist von beträchtlicher Dauer ergeben.

1. Nach § 171 Abs. 3a Satz 3 AO ist in den Fällen des § 100 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 und § 101 FGO über den Rechtsbehelf erst dann unanfechtbar entschieden, wenn ein aufgrund der genannten Vorschriften erlassener Steuerbescheid unanfechtbar geworden ist.

§ 171 Abs. 3a Satz 3 AO ergänzt die Ablaufhemmung während des laufenden Rechtsbehelfsverfahrens für den Fall, dass das Gericht keine abschließende Sachentscheidung trifft, sondern ein weiteres Tätigwerden des FA zur Umsetzung der gerichtlichen Entscheidung erforderlich ist. Die Regelung soll es dem FA ermöglichen, die noch ausstehende Entscheidung in der Sache im Anschluss an die gerichtliche Entscheidung nachzuholen.

2. Trifft das Gericht eine sog. Kassationsentscheidung i.S.d. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO, ist bei den sich daraus für § 171 Abs. 3a Satz 3 AO ergebenden Folgen zu unterscheiden: Hebt das Gericht den im Rechtsbehelfsverfahren angefochtenen Bescheid gem. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO ersatzlos auf (sog. echte Kassation), wird die Sache in den ungeregelten Zustand vor Erlass des Bescheids zurückversetzt. In diesem Fall muss das FA entscheiden, ob es bei der durch die Aufhebung geschaffenen (ungeregelten) Rechtslage verbleiben kann oder es eines erneuten Tätigwerdens bedarf. Eine Pflicht zum Tätigwerden besteht für das FA im Bereich der gebundenen Verwaltung, insbesondere bei der Steuerfestsetzung (§ 85 AO). Die verlängerte Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3a Satz 3 AO gilt nach ihrem Zweck nur bei der echten Kassation, weil hier das Verwaltungsverfahren (noch) nicht abgeschlossen ist.

Hat dagegen die Aufhebung des Bescheids durch das Gericht gem. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO) selb...

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