Leitsatz

Eine Arzneiware i.S.d. Pos. 3004 KN liegt vor, wenn ein Präparat nach dem ihm zugedachten Wirkungsgrad über eine Substitution bei einem Mangelzustand hinausgeht und der Therapie oder Prophylaxe gegen Krankheiten dient. Dies ist der Fall, wenn ein zur Verhütung oder Behandlung einer bestimmten Krankheit eingesetzter Wirkstoff in der Ware in einer Menge vorhanden ist, die mindestens dreimal höher als die normalerweise empfohlene Tagesdosis ist. Maßgebend ist insoweit die der zusätzlichen Anmerkung 1 zu Kap. 30 in den ErlKN hinzugefügte Tabelle.

 

Normenkette

Kombinierte Nomenklatur Pos. 3004

 

Sachverhalt

Streitig war, ob ein bestimmtes als Arzneimittel zugelassenes Vitamin-C-Präparat eine Arzneiware i.S.d. Pos. 3004 der Kombinierten Nomenklatur (KN) oder tariflich eine "Lebensmittelzubereitung" oder ein "Anregungsmittel" ist. Als Anwendungsgebiete wurden in dem Beipackzettel zu dem Präparat folgende Angaben gemacht: "Schützt vor Vitaminmangelerscheinungen; stärkt die Abwehrkräfte; beugt Entwicklungs- und Wachstumsstörungen und der Rachitis vor; schützt vor körperlichen und geistigen Erschöpfungszuständen wie Konzentrationsschwäche und Schulmüdigkeit; beugt Appetitlosigkeit und Stoffwechselstörungen vor; verkürzt die Erholungszeit nach überstandenen Krankheiten (Rekonvaleszenzzeit); fördert die natürlichen Hautfunktionen. Traditionell angewendet zur Stärkung oder Kräftigung, zur Besserung des Befindens, zur Unterstützung der Organfunktion, zur Vorbeugung".

Das HZA wollte der Klägerin Produktionserstattung für den bei der Herstellung dieser Ware verwendeten Zucker nicht gewähren, weil dafür Voraussetzung sei, dass die Klägerin mit dem Zucker ein Arzneimittel hergestellt habe; die Ware sei aber kein Arzneimittel.

Die deswegen erhobene Klage blieb erfolglos.

 

Entscheidung

Der BFH hat der Klägerin, im Wesentlichen der Rechtsprechung des EuGH folgend, Recht gegeben. Ein Erzeugnis sei eine Arzneiware i.S.d. Pos. 3004 KN, wenn die zur Verhütung oder Behandlung einer bestimmten Krankheit eingesetzten Wirkstoffe in der Ware in einer Weise vorhanden sind, die über das für die Ernährung notwendige oder üblicherweise empfohlene Maß deutlich hinausgehe und die der Mensch in dieser Dosierung selbst nicht erzeugen könne (vgl. BFH, Urteil in BFHE 190, 501, 505).

Einer derartigen Ware komme nach Auffassung des EuGH therapeutische oder prophylaktische Wirkung zu (vgl. EuGH, Urteil in EuGHE 1998, I-8357). Das hier strittige Präparat enthalte – bei einer empfohlenen Tagesdosis von 20 ml – 200 mg Vitamin C. Diese Menge gehe über das für die Ernährung notwendige oder üblicherweise empfohlene Maß deutlich hinaus. Die empfohlene Tagesdosis von Vitamin C liege bei 60 mg. Bei Einnahme der empfohlenen Tagesdosis des strittigen Präparats nehme man also dreimal mehr zu sich. Das genüge für eine Einreihung als Arzneimittel.

Die Erzeugnisse, die Gegenstand des EuGH-Urteils in EuGHE 1998, I-8357 waren, hätten zwar bei der empfohlenen Tagesdosis eine Menge von 1000 mg bzw. 500 mg Vitamin C enthalten. Dies sei aber nicht als Mindestmenge anzusehen. Dies verdeutliche die inzwischen eingefügte Zusätzliche Anmerkung 1 zu Kap. 30 der Erläuterungen zur KN. Sie könne berücksichtigt werden, weil sie bei unveränderter Tariflage lediglich Einreihungszweifel kläre (Hinweis auf BFH, Urteile in BFH/NV 2002, 229 und BFH/NV 2002, 690, 692).

 

Hinweis

1. Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren sind deren objektiven Merkmale und Eigenschaften, auf welche die Positionen und Unterpositionen und die Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln des Gemeinsamen Zolltarifs abstellen; sie sind grundsätzlich wortgetreu anzuwenden. Dazu treten die Erläuterungen, die für das Harmonisierte System (HS) vom Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens sowie für die KN von der Europäischen Kommission ausgearbeitet werden und ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen darstellen (vgl. EuGH in EuGHE 2002, I-1389).

2. Mangeltherapie oder -prophylaxe, z.B. mit Vitaminen oder Mineralstoffen, ist keine medizinische Indikation. Die im Lebensmittelhandel außerhalb von Apotheken erhältlichen Vitamintabletten und -präparate sind demzufolge grundsätzlich keine Arzneiwaren im zolltariflichen Sinn. Das gilt auch, soweit solche Erzeugnisse – mittelbar – mangelbedingten Krankheiten entgegenwirken sollen.

3. Merke: Nicht allein die in einer Ware enthaltenen Wirkstoffe bzw. die von einer bestimmten Wirkstoffkombination ausgehende Wirkungsweise qualifizieren ein Präparat als Arzneimittel, sondern die bloße Konzentration eines per se nicht therapeutischen Stoffs vermag dies auch. Es kommt nicht einmal darauf an, ob man den betreffenden Stoff auch ohne ein Arzneimittel dieser Art zu benutzen auf andere Weise – z.B. mit der Nahrung – zu sich nehmen könnte, etwa indem man ein Präparat aus dem Supermarkt (wegen geringen Vitamin-C-Gehalts kein Arzneimittel) benutzt oder ein paar Apfelsinen mehr isst. Der BFH fr...

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