Weitaus häufiger als offener und versteckter Dissens ist das Auseinanderfallen von subjektivem Willen und objektiver Erklärung einer Partei. Verträge können nur dann ihre Funktion erfüllen, wenn jede Partei darauf vertrauen kann, dass der andere Teil das im Vertrag Erklärte auch tatsächlich mit dem Inhalt gewollt hat, der daraus objektiv entnommen werden kann. Dieses Vertrauen zu schützen, verlangt, die Erklärungen jeder Partei nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt zu bewerten und davon abweichende subjektive Vorstellungen einer Partei grundsätzlich zu ignorieren[1]:

Bestehen über den Inhalt einer vertraglichen Vereinbarung unter den Parteien Meinungsverschiedenheiten, weil jede Partei mit dem niedergelegten Wortlaut andere Vorstellungen verbunden hat, muss der Vertrag ausgelegt werden. Dabei muss sich jede Partei ihre Erklärungen mit dem Inhalt zurechnen lassen, mit dem sie die andere Partei bei verständiger Würdigung verstehen konnte und durfte.[2] Bei Meinungsverschiedenheiten ist mithin der objektive Erklärungsgehalt entscheidend, nicht der subjektive Wille der erklärenden Partei.

 

Beispiel 10

Wurde im Beispiel 8 die Lieferung von "Normalbenzin" vereinbart, so ist es ohne Bedeutung, wenn die Käuferin später erklärt, sie habe bei Vertragsschluss unter Normalbenzin Benzin mit einer Superbenzin entsprechenden Oktanzahl verstanden. Denn der objektive, für den anderen Teil erkennbare Erklärungsgehalt des Begriffes "Normalbenzin" lässt dies nicht erkennen.

Die Partei, die mit ihren Äußerungen andere Vorstellungen verbindet als diesen Erklärungen nach ihrem objektiven Erklärungsinhalt zukommt, muss sich am objektiv Erklärten festhalten lassen. Der Erklärungsirrtum lässt die Wirksamkeit des Vertrages unberührt. Er rechtfertigt allenfalls die nachträgliche Anfechtung des Vertrages, die jedoch regelmäßig eine auf das negative Interesse zielende (und durch das positive Interesse beschränkte) Schadensersatzpflicht nach sich zieht.[3]

 

Beispiel 11

Ficht die Käuferin im Beispiel 8 den Kaufvertrag unverzüglich an, weil sie nachträglich entdeckt, dass sie in ihrer Bestellung versehentlich Normal- statt Superbenzin genannt hat (Irrtum in der Erklärungshandlung) oder weil sie sich irrtümlich unter Normalbenzin Benzin mit einer Superbenzin entsprechenden Oktanzahl vorgestellt hatte (Irrtum über den Erklärungsinhalt), muss sie der Verkäuferin den Schaden ersetzen, den diese dadurch erleidet, dass sie auf die Gültigkeit des Vertrages vertraut hat.[4]

[1] Etwas anderes gilt, wenn die vom Erklärten abweichende Vorstellung einer Partei der anderen bekannt ist.
[2] Diese sog. normative Auslegung gilt grds. für empfangsbedürftige Willenserklärungen mit Ausnahme der übereinstimmenden Falschbezeichnung (s. o. Tz. 2.3), obwohl § 133 BGB in eine gegenteilige Richtung zu weisen scheint; die §§ 133, 157 und 119 ff BGB sind insoweit im Zusammenhang zu lesen.
[3] Zu den Varianten des Irrtums in der Erklärungshandlung, des Irrtums über den Erklärungsinhalt, des Irrtums über verkehrswesentliche Eigenschaften und des Übermittlungsirrtums s. Palandt, a. a. O., § 119 Rn. 1 ff., § 120 BGB.

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