Rz. 18

Theorie des doppelten ordentlichen Geschäftsleiters. Unumstritten ist, dass einem tatsächlichen Fremdvergleich grundsätzlich Vorrang vor anderen Vergleichsverfahren einzuräumen ist.[1] Ein tatsächlicher Fremdvergleich erweist sich allerdings immer dann als nicht durchführbar, wenn es an einer effektiven Vergleichsmöglichkeit zwischen unabhängigen Vergleichspartnern fehlt. In diesem Fall besteht die Möglichkeit und Notwendigkeit, die Verrechnungspreisermittlung auf Basis eines hypothetischen Fremdvergleichs durchzuführen. Der hypothetische Fremdvergleich hat seinen Ursprung in der betriebswirtschaftlichen Forschung,[2] wurde vom BFH in seiner Rechtsprechung zur verdeckten Gewinnausschüttung[3] übernommen und durch den Gesetzgeber im Rahmen des UntStRefG 2008[4] in § 1 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 Satz 7 und Abs. 3a Sätze 5 f. AStG gesetzlich geregelt. Dem hypothetischen Fremdvergleich liegt die "Theorie des doppelten ordentlichen Geschäftsleiters" zugrunde. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG ist für die Anwendung des Fremdvergleichs davon auszugehen, "dass die voneinander unabhängigen Dritten (…) nach den Grundsätzen ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter handeln". Der Verrechnungspreisermittlung wird damit das Normverhalten zweier ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter zugrunde gelegt. Die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters erfährt dadurch als objektivierender Bezugspunkt eine eigenständige Bedeutung, was letzten Endes auf eine Angemessenheitsprüfung nach betriebswirtschaftlichen Kriterien hinausläuft.[5]

 

Rz. 19

Einigungsbereichsbetrachtung. Der inhaltliche Kern des hypothetischen Fremdvergleichs besteht in der Simulation eines Preisbildungsprozesses, um festzustellen, welcher Preis unter Berücksichtigung der spezifischen Entscheidungssituation und der Handlungsalternativen sowohl des leistenden Unternehmens als auch des leistungsempfangenden Unternehmens bei Berücksichtigung des Sorgfaltsmaßstabs des "doppelten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters" mutmaßlich zustande käme. Die Durchführung des hypothetischen Fremdvergleichs basiert auf einer Einigungsbereichsbetrachtung, wobei der Mindestpreis des Leistungserbringers die Untergrenze und der Höchstpreis des Leistungsempfängers die Obergrenze des Einigungsbereichs bilden. Im Hinblick auf die Simulation des Preisbildungsprozesses gibt § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG vor, dass der hypothetische Fremdvergleich "unter Beachtung des Absatzes 1 Satz 3 aus Sicht des Leistenden und des jeweiligen Leistungsempfängers durchzuführen" ist. Der Gesetzesbegründung lässt sich entnehmen, dass der hypothetische Fremdvergleich zwar auf dessen Kern, nämlich ökonomisch fundiertes Nachdenken zurückgeführt wird, letztlich jedoch unverändert auf die Anwendung ökonomisch anerkannter Bewertungsmethoden begrenzt wird.[6] Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG sind solche "ökonomisch anerkannte Bewertungsmethoden" insbesondere Ertragswert- und Discounted-Cashflow-Methoden, die auf innerbetrieblichen Planrechnungen beruhen.[7]

Insofern ist ungeachtet dessen, dass weder § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG noch § 1 Abs. 3a Satz 5 AStG mit § 1 Abs. 3 Satz 6 AStG a. F. vergleichbare Anforderungen an die Grenzpreisermittlung enthält, die Ermittlung eines Ertragswerts erforderlich. So wird nach der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG die Anwendung von auf Einkünften beruhenden Bewertungsmethoden, vor allem solchen, die auf der Berechnung des abgezinsten Werts prognostizierter zukünftiger Einnahmeströme bzw. Cashflows basieren, als "hilfreich" erachtet.[8]Die gesetzlichen Regelungen beschränken sich mithin auf die ertragswertbasierte Bestimmung der Preisgrenzen, wobei es jedenfalls methodisch nicht im hypothetischen Fremdvergleich angelegt ist und auch für die Simulation eines Preisbildungsprozesses durch Einigungsbereichsbetrachtung nicht erforderlich wäre, Grenzpreise nur durch Anwendung umfangreicher Bewertungsverfahren zu bestimmen.[9]

Jede andere Bestimmung der individuellen Preisgrenzen (sog. Soll-Vergleichstatbestände) für den im Rahmen des hypothetischen Fremdvergleichs vorzunehmenden Soll-Ist-Vergleich mag zwar konzeptionell einen hypothetischen Fremdvergleich darstellen. Es ist jedoch kein hypothetischer Fremdvergleich im Sinne der gesetzlichen Regelungen von § 1 Abs. 3 Sätze 7 AStG. Ebenso fraglich ist, ob die Berücksichtigung alternativer Handlungsmöglichkeiten bei der Bestimmung des jeweiligen Grenzpreises stets auch eine ertragswertbasierte Bewertung der betreffenden Handlungsalternativen aufzwingt.[10]

Die individuellen Grenzpreise der Vertragspartner bilden nur dann einen Einigungsbereich, wenn die Preisgrenze des leistungsempfangenden Unternehmens die Preisgrenze des leistenden Unternehmens übersteigt.[11] In diesen Fällen ist der Einigungsbereich zwischen den Vertragsparteien aufzuteilen, um festzustellen, welcher Preis in diesem Einigungsbereich dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht. Hierzu regelt § 1 Abs. 3a Satz 6 AStG, dass der M...

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