Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise: die Rolle der OECD

In dieser Reihe werden die neuen Verwaltungsgrundsätze zu den Verrechnungspreisen kritisch gewürdigt. Teil II widmet sich der Frage: Inwieweit ist es sinnvoll, eine Anlage von (aktuell) 650 Seiten zu haben, welche sich in regelmäßigen Intervallen ändert?

Im ersten Artikel wurden bereits neben einer Gesamteinschätzung zu den Verwaltungsgrundsätzen Verrechnungspreise (VWG VP) die ersten Abschnitte des BMF-Schreibens aus Sicht der Praxis genauer erörtert.

Im weiteren Verlauf des Schreibens geht das BMF auf die Bedeutung der OECD-Verrechnungspreisleitlinien (OECD-VPLL) für die neuen VWG VP ein. Dieser Artikel setzt sich mit den Inhalten des zweiten Kapitels sowie den ersten im dritten Kapitel enthaltenen sog. Konkretisierungen kritisch auseinander.

Kapitel II Bedeutung der OECD-Verrechnungspreisleitlinien

Unterschiedliche Vorgaben für Finanzverwaltung und Gerichte

Um eine einheitliche Umsetzung des Fremdvergleichsgrundsatzes zu gewährleisten, orientiert sich das BMF für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung an den OECD-VPLL. Grundsätzlich sind die OECD-VPLL als Kompromisspapier zu verstehen, bei dem der Versuch unternommen wird, die verschiedenen Positionen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf den Fremdvergleichsgrundsatz „kompatibel“ aufzuarbeiten und darzustellen. Durch ihre starke Orientierung an den OECD-VPLL scheint sie diesen damit einen verbindlichen Charakter für die Finanzverwaltung zu verleihen, vorausgesetzt die VWG VP 2021 enthalten in den nachfolgenden Kapiteln dahingehend keine „weiteren Konkretisierungen“. Es bleibt jedoch zweifelhaft, ob es dadurch zu einer vollumfänglich internationalen Umsetzung des Fremdvergleichsgrundsatzes kommen wird. Vielmehr könnte es dadurch vermehrt zu Diskussionen über die „vagen Aussagen“ der OECD-VPLL vor Finanzgerichten, die gerade nicht an die VWG VP 2021 gebunden sind, kommen.

Fehlende Verankerung in deutschem Steuerrecht

Stellt das BMF die OECD VPLL zunächst als Prüfungsmaßstab für die Finanzverwaltung dar, so impliziert das BMF in Tz. 2.2, dass innerstaatliches Recht trotzdem Vorrang hat. Unklarheit schaffte die fehlende Aussage, ob der statischen oder dynamischen Abkommensauslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA gefolgt wird. Aus rechtsdogmatischer Sicht lässt sich diese Aussage nicht nachvollziehen, da sie sowohl gegen das Rechtsstaatsprinzip, den Parlamentsvorbehalt als auch gegen die ständige Rechtsprechung des BFH verstößt. Vor diesem Hintergrund sollte der deutsche Gesetzgeber ernsthaft in Erwägung ziehen, eine zeitnahe Übersetzung wesentlicher Aspekte des Fremdvergleichsgrundsatzes in deutsches Steuerrecht vorzunehmen, um der zunehmenden Verwässerung des Begriffes entgegenzuwirken.

In Tz. 2.4. wird der Vorrang deutscher „Sonderwege“ ausgeführt, während Tz. 2.5/2.6 die EUJTPF und UN Manuals als mögliche weitere (nachrangige) Orientierungshilfe benennen. Solange keine vollständige Transformation in das deutsche Recht erfolgt ist, haben Aktualisierungen der OECD-Richtlinien innerstaatlich im Verhältnis zum Steuerpflichtigen keine Verbindlichkeit. Unseres Erachtens ist daher kritisch anzumerken, dass ein solch weitgehendes Einbeziehen der OECD-Richtlinien eher gesetzlich bzw. per Verordnung hätte geregelt werden müssen.

OECD-Richtlinien als Prüfungsmaßstab ungeeignet

Kommt es zu Streitigkeiten bezüglich der Anwendung auf Altfälle, wird ein Verständigungsverfahren eher betrachtet werden, wenn eine Beseitigung der Doppelbesteuerung vorrangig ist. Die Belastung der Finanzgerichte wird daher wohl weiter zunehmen.

Da die OECD-Richtlinien von ihrem Kompromisscharakter geprägt sind und daher in vielerlei Hinsicht zu unspezifisch sind, eignen sie sich allenfalls bedingt als Prüfungsmaßstab. Dementsprechend ist eine (eigentlich beabsichtigte) Sicherstellung, dass eine international einheitliche Umsetzung des Fremdvergleichsgrundsatzes erfolgt, durch den Bezug zu den OECD-VPLL nicht möglich.

Bei einem Streitfall bezüglich der Anwendung der aktuellen Fassung der OECD-VPLL auf Altfälle (z.B. in einer Betriebsprüfung), wird nun wohl häufiger in Erwägung gezogen werden, dies finanzgerichtlich zu klären. Gerade wenn insbesondere die Beseitigung einer Doppelbesteuerung im Vordergrund steht, sollte ein Verständigungsverfahren in Betracht gezogen werden.

Fazit: Komplexität bei Verrechnungspreisen eher gestiegen

Durch die Einbeziehung der sehr umfangreichen OECD VPLL ist davon auszugehen, dass die Komplexität im Bereich der Verrechnungspreise gestiegen ist.

Darüber hinaus gilt es, die rechtliche Bedeutung des Verweises auf die Empfehlungen des EU Joint Transfer Pricing Forums für die Finanzverwaltung zu klären. Diese wurden nicht als Anlage der VWG VP 2021 im BStBl veröffentlicht.

Final kann trotz der Aufhebung diverser BMF Schreiben nicht die Rede von einer Präzisierung bzw. Straffung des Bereichs "Verrechnungspreise" sein, da die sich auch in ihrer Auslegung laufend verändernden OECD-VPLL als Anlage 1 mit ihren derzeit 650 Seiten von der Finanzverwaltung verbindlich zu beachten sind. Es ist eher zu befürchten, dass die Komplexität für den Rechtsanwender gestiegen ist.

Kapitel III Leitlinien

Das BMF Schreiben enthält im dritten Kapitel zu ausgewählten Themenbereichen „weitergehende Konkretisierungen“, die darauf abzielen, die Sicherstellung einer gleichmäßigen Besteuerung zu gewährleisten. Für die Punkte, die nicht genauer in den neuen VWG VP ausgeführt werden (Bsp: Betriebsstättengewinnaufteilung, Streitbeilegung…), verweist das BMF auf die jeweils einschlägigen und immer noch anzuwendenden BMF Schreiben, in denen diese Punkte bereits konkretisiert wurden.

A. Fremdvergleichsgrundsatz und Analysezeitpunkt

Maßstab für die Verrechnungspreisanalyse ist der Fremdvergleich, bei dem es gilt, auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen. Maßgeblich für die Verhältnisse des Fremdvergleichs soll der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und nicht der Erfüllungszeitpunkt sein.

Abzustellen ist auf den wirtschaftlichen Gehalt einer Transaktion, was vertragliche Beziehungen in den Hintergrund rückt. Verträge behalten besonders bei Sachverhalten, die interpretiert werden müssen, ihre Bedeutung, weshalb deren Abschluss nach wie vor empfehlenswert ist. Wird ein Fremdvergleich durchgeführt, so sind die zur Verfügung stehenden Handlungsalternativen mit einzubeziehen. Es wird betont, dass der Fremdvergleichsgrundsatz sowohl in In- als auch in Outboundfällen anzuwenden ist (Tz. 3.3). 

Hervorzuheben ist die Aufnahme des Risikokontrollkonzepts der OECD (Tz. 3.5 f.), bei dem Risken aufgrund von Kriterien wie (Personal)-Funktionen zur Kontrolle von Risiken und vorhandener finanzieller Mittel zur Übernahme von Risiken zugeordnet werden.

Definiert wird Kontrolle als die Fähigkeit, Entscheidungen darüber zu treffen, ob Risiken eingegangen werden und wie diese zu managen sind. Die Ausübung einer solchen Entscheidungsfunktion gilt es nachzuweisen. In der Prüfungspraxis kann es deshalb dazu kommen, dass die Finanzverwaltung diesbezüglich Unterlagen anfordern kann, um einen Nachweis für die tatsächlich ausgeübten Personalfunktionen zu erhalten.

Tipp:

Unsere Empfehlung ist es daher, im Vorfeld Personalfunktionen genauer zu beleuchten. Stellen Sie sicher, dass Stellenausschreibungen oder Bonusvereinbarungen mit dem jeweiligen Funktions- und Risikoprofil übereinstimmen. Verträge, welche konzerninterne Transaktionen regeln, sollten noch immer erstellt werden, da so eine Interpretationshoheit über den Sachverhalt wahrgenommen wird. In diesem Fall sind Sie vorbereitet, wenn die Finanzverwaltung Unterlagen anfordert, um einen Nachweis für tatsächlich ausgeübte Personalfunktionen zu gewinnen.

B. Verrechnungspreismethoden und Bewertungstechniken

Das BMF befasst sich im Abschnitt B im spezifischen mit den Themen Verrechnungspreismethoden, Bewertungsmethoden und Bewertungsanlässen und verweist dabei auf Kapitel II der OECD-VPLL.

Obwohl die fünf anfangs angeführten Verrechnungspreismethoden ebenfalls in den OECD-VPLL Erwähnung finden, stellen sie keine abschließende Aufzählung dar, da in speziellen Fällen auch die Kombination mehrerer Methoden zum Einsatz kommt. (Tz. 3.10). Lassen sich mithilfe der gängigen Methoden keine Vergleichswerte ermitteln (IWG, Funktionsverlagerung), so stellt das BMF auf den hypothetischen Fremdvergleich ab. Hierfür erkennt das BMF als Bewertungsmethoden grundsätzlich das Discounted-Cash-Flow-Verfahren sowie das Ertragswertverfahren an (Tz. 3.13). Im Gegensatz zum stark vereinfachten Ertragswertverfahren bei mangelnder Mitwirkung des Steuerpflichtigen, stellt der Substanzwert nach § 11 Absatz 2 Satz 3 BewG keinen Anhaltspunkt für einen Fremdvergleich dar (Tz. 3.15). Zusätzlich wird deutlich gemacht, dass, sobald eine Bewertungsmethode vom Steuerpflichtigen für einen „nichtsteuerlichen“ Zweck eingesetzt wird, diesem Zweck eine konsistente Annahme bezüglich der Bewertungsparameter mit dem Verrechnungspreiszweck zugrunde liegen muss oder eine Begründung für eine Abweichung geliefert werden muss. (Tz. 3.14).

Hinweis:

Immaterielle Vermögenswerte (IWG): sind zu unterscheiden in vertriebsbezogene und in produkt- / produktionsbezogene.

  • Vertriebsbezogene IWG sind u.a. Kundenstamm, Vertriebsrechte oder Marken.
  • Produkt- / Produktionsbezogene IWG sind u.a. Patente, Urheberrechte oder Geschmacksmuster.

Beachten Sie, dass Gruppensynergien oder lokale Standortvorteile nicht als IWG einzustufen sind, da Konzerngesellschaften diese nicht besitzen oder kontrollieren können.

Ein Sonderfall bei der Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs liegt laut BMF dann vor, wenn der durch den Fremdvergleich bestimmte Mindestpreis des Leistenden höher ist als der Höchstpreis des Leistenden. In einem solchen Fall gilt es zu prüfen, ob dies durch eine weitere Geschäftsbeziehung begründet ist. Unklar bleibt in diesem Zusammenhang die Formulierung „ist dies nicht der Fall, dann ist die Differenz (…) aufzuteilen“.

Auf weitere Aspekte von Kapitel III der VWG VP werden wir in zwei weiteren Artikeln eingehen.

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