Leitsatz

Entsteht bei einem Steuerpflichtigen mit Einkünften aus Gewerbebetrieb infolge eines Verlustabzugs gem. § 10d EStG im Zusammenhang mit der Steuerermäßigung gem. § 35 Abs. 1 Nr. 1 EStG ein sog. Anrechnungsüberhang, kann der Steuerpflichtige nicht die Festsetzung einer negativen ESt in Höhe des verfallenden Anrechnungsbetrags beanspruchen.

 

Normenkette

§ 2 Abs. 6 S. 1, § 15 Abs. 1 S. 1, § 35 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2001, Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und 2 GG

 

Sachverhalt

Die Klägerin erzielte 2001 Einkünfte aus Gewerbebetrieb als Mitglied einer Erbengemeinschaft sowie andere Einkünfte, die zu einem positiven Gesamtbetrag der Einkünfte führten. Aufgrund eines Verlustabzugs nach § 10d EStG ergab sich ein negatives zu versteuerndes Einkommen, das zu einer ESt von 0 DM führte. Die Klägerin beantragte die Festsetzung einer negativen ESt i.H.d. 1,8-fachen anteiligen GewSt-Messbetrages sowie – hilfsweise – die Feststellung des nicht ausgeschöpften Anrechnungsvolumens für einen Vor- oder Rücktrag analog zu § 34f EStG.

Einspruch und Klage (FG München, Urteil vom 22.11.2005, 12 K 2318/04, Haufe-Index 1628006, EFG 2007, 260) blieben erfolglos.

 

Entscheidung

Der BFH bestätigte aus den oben dargestellten Gründen das Urteil des FG. Der Steuerermäßigungsbetrag nach § 35 EStG konnte nicht von der tariflichen ESt abgezogen werden, weil diese nach dem durchgeführten Verlustabzug gem. § 10d EStG 0 DM betrug.

Die Steuerentlastung durch den Verlustabzug nach § 10d EStG wegen Minderung der tariflichen ESt auf Null verdrängte damit die konkurrierende Steuerermäßigung aus § 35 EStG. Sowohl die Möglichkeit der Feststellung einer negativen ESt als auch der Rück- oder Vortrag des nicht genutzten Anrechnungsvolumens schieden wegen des Fehlens einer gesetzlichen Grundlage aus.

 

Hinweis

1. Nachdem sich der BFH in den letzten Jahren vor allem mit der Berechnung des Ermäßigungshöchstbetrags nach § 35 Abs. 1 EStG zu befassen hatte (vgl. dazu BFH/PR 2007, 169), geht es in diesem Streitfall um das Schicksal eines möglichen Anrechnungsüberhangs und die Frage, ob dessen endgültiger Verlust verfassungswidrig sein könnte.

2. Obwohl diese Entscheidung zu der bis zum Jahr 2007 gültigen Fassung des § 35 EStG ergangen ist, ändert sich an der Relevanz dieses Problems auch unter der Neuregelung des § 35 EStG durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 nichts. Das Problem, dass ein Anrechnungsüberhang entstehen kann, bleibt auch weiterhin aktuell.

3. Gem. § 35 Abs. 1 EStG 2001 ermäßigt sich die tarifliche ESt um einen gesondert zu ermittelnden Steuerermäßigungsbetrag aus § 35 EStG, der aus den Faktoren des gewerblichen Anteils (Verhältnis der gewerblichen Einkünfte zur Summe der Einkünfte) und der tariflichen ESt zu ermitteln ist (sog. Ermäßigungshöchstbetrag).

4. Ein nicht nutzbares gewerbesteuerliches Anrechnungsvolumen entsteht, wenn sich entweder kein Steuerermäßigungsbetrag aus § 35 Abs. 1 EStG ergibt oder die tarifliche ESt aus anderen Gründen bereits "Null" beträgt.

5. Eine anderweitige Nutzung des Anrechnungsvolumens, sei es durch Festsetzung einer negativen ESt und Erstattung durch das FA oder die Feststellung eines rück- oder vortragsfähigen Anrechnungsüberhangs entsprechend der Regelung des § 34f Abs. 3 EStG,ist gesetzlich nicht vorgesehen.

6. In dem ersatzlosen Verfall des gewerbesteuerlichen Anrechnungsvolumens liegt weder ein Verstoß gegen Art. 3 GG noch gegen Art. 14 GG. Es ist auch kein Verstoß gegen das Gebot einer folgerichtigen Umsetzung der mit Einführung des § 35 EStG getroffenen Belastungsentscheidung zu sehen, wenn der Gesetzgeber die einkommensteuerliche Entlastung in § 35 EStG an die Voraussetzung knüpft, dass im Einzelfall eine kumulative Belastung aus ESt und GewSt vorhanden sein muss.

7. Der im Schrifttum vertretenen Auffassung, die folgerichtige Umsetzung der Belastungsentscheidung verlange grundsätzlich eine punktgenaue Kompensation der GewSt-Belastung bei jedem Steuerpflichtigen mit Einkünften aus Gewerbebetrieb, erteilt der BFH eine Absage. Der Gesetzgeber wollte eine Entlastungsmaßnahme umsetzen, nach deren klaren Konzept die "Anrechnung der GewSt" lediglich in den Fällen vorgenommen werden soll, in denen eine kumulative Belastung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb durch ESt und GewSt vorliegt. Dieses ergibt sich nicht nur aus der Entstehungsgeschichte des § 35 EStG, dessen Konzeption auf den Steuervorschlägen der Brühler Kommission beruht, sondern auch aus der gewählten Regelungstechnik. Damit sollte vor allem den finanzverfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Vollanrechnungslösung Rechnung getragen werden, die in einer Vollanrechnung der individuellen GewSt-Schuld auf die ESt-Schuld einen Verstoß gegen die Regelungen zur Ertragshoheit des GG sehen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 23.04.2008, X R 32/06

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