Leitsatz

1. Der Steuerentrichtungspflichtige ist befugt, gegen die auf seinen eigenen Anmeldungen beruhenden, unter Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Festsetzungen (§ 168 Satz 1 AO) der Kapitalertragsteuer zu klagen und diese auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu lassen (Anschluss an BFH-Beschluss vom 12.04.2022 – VIII R 35/19, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2022, 1024, Rz 16 ff., m.w.N.).

2. Die Sperrwirkung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG für die Besteuerung der Dividenden nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG tritt nach der im Jahr 2013 geltenden Fassung auch dann ein, wenn der Gewinn aus der Veräußerung der Dividendenansprüche bei beschränkt Steuerpflichtigen gemäß § 49 EStG nicht steuerpflichtig ist.

3. Die Veräußerung des Dividendenanspruchs ist kein Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 AO, da diese in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG vom Gesetzgeber geregelt ist.

 

Normenkette

§ 20 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2, § 44 Abs. 1 Satz 3, § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a, § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a EStG, § 42, § 168 Satz 1 AO

 

Sachverhalt

Die Klägerin war ein inländisches Kreditinstitut. Sie verwahrte und verwaltete in dem Streitzeitraum April und Mai 2013 zu den jeweiligen Dividendenstichtagen Wertpapiere nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 des Kreditwesengesetzes für das in Großbritannien ansässige Kreditinstitut AB, einer Aktiengesellschaft nach dem Recht Großbritanniens.

AB veräußerte jeweils mit auf den Tag der Einlieferung der Aktien in das Depot datierten Verträgen die künftigen Dividendenansprüche für das Geschäftsjahr 2012 an die Londoner Niederlassung AC, einer Kapitalgesellschaft nach dem Recht des US-Bundesstaats X. Als Kaufpreis wurden zwischen 93 % und 97 % der zu erwartenden "Brutto-Dividenden" vereinbart. Gleichzeitig wurde der jeweilige Anspruch auf die Auszahlung der Dividende abgetreten. Sämtliche Verträge enthielten hinsichtlich der Zusicherungen der Veräußerin identische Formulierungen. Danach übernahm AB weder die Verantwortung oder Haftung dafür, dass die Forderung in voller Höhe des Bruttodividendenbetrags entstand, noch für die Bonität und die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft nach dem Entstehen der Forderung.

Gegenüber der Klägerin wurde die Abtretung jeweils angezeigt. In den Abtretungsanzeigen wurde sie angewiesen, die zu erwartende Dividende auf ein Konto der AC auszuzahlen. Die Klägerin reichte KapESt-Anmeldungen für April und Mai 2013 ein, die die Ausschüttungen aller an die AC abgetretenen Dividendenzahlungen umfassten, und legte gegen diese Einspruch ein. Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hatte keinen Erfolg (Hessisches FG, Urteil vom 17.5.2019, 4 K 720/16, Haufe-Index 13289698, EFG 2019, 1593).

 

Entscheidung

Die Revision der Klägerin war begründet. Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben und der Klage stattgegeben.

 

Hinweis

1. Die Klage der Bank gegen die eigene Anmeldung der KapESt war zulässig. Der Steuerentrichtungspflichtige ist befugt, gegen die auf seinen eigenen Anmeldungen beruhenden, unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 168 Satz 1 AO) stehenden Festsetzungen der KapESt zu klagen und diese auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen.

2. Die Klage war auch begründet. Die Klägerin war als die Kapitalerträge auszahlende Stelle bei Auszahlung der Dividenden an AC nicht zum Abzug und zur Abführung der KapESt und des hierauf entfallenden SolZ nach § 44 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a EStG verpflichtet. Denn AB hat als Anteilseignerin der Aktien i.S.d. § 20 Abs. 5 EStG als im Inland beschränkt Steuerpflichtige keine steuerbaren Dividendeneinkünfte i.S.d. § 2 Nr. 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a, § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG erzielt.

3. Zwar werden die Dividendenzahlungen AB als Anteilseignerin i.S.d. § 20 Abs. 5 EStG trotz der Abtretung der Dividendenansprüche an AC als Kapitaleinkünfte zugerechnet, sodass der Tatbestand des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a EStG i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG an sich erfüllt ist. Jedoch tritt nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG die Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der Dividende durch den Inhaber des Stammrechts an die Stelle der Besteuerung der Dividende nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Die Besteuerung der Dividenden im Zeitpunkt ihrer Auszahlung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG wird hierdurch verdrängt.

4. Die Sperrwirkung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG für die Besteuerung der Dividende nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG entfällt nicht deshalb, weil in § 49 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a EStG auf diese Regelung nicht verwiesen wird. Denn § 49 Abs. 1 EStG knüpft an das Vorliegen der Einkünfte i.S.d. § 2 i.V.m. §§ 13ff. EStG punktuell an und enthält keine Erweiterung gegenüber dem für unbeschränkt Steuerpflichtige geltenden Einkünftebegriff. Im Falle einer Veräußerung von künftigen Dividendenansprüchen durch den Inhaber des Stammrechts wären die Dividendenzahlungen bei einem unbeschränkt Steuerpflichtigen nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Satz 2 EStG nicht gemäß ...

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