Rz. 692

Die durch § 105 AktG zwingend für die AG vorgeschriebene strikte Funktionstrennung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat ist Ausfluss des dualen Leitungssystems der deutschen AG. Anders als nach dem Board-System im anglo-amerikanischen Recht[1] und anders als bei der – neben dem dualistischen Führungsprinzip zulässigen – monistischen Leitungsstruktur der SE liegen bei der deutschen AG Geschäftsführung einerseits und deren Überwachung andererseits grundsätzlich bei verschiedenen Personen und Gremien, nämlich dem Vorstand und nachgeordneten leitenden Funktionen einerseits und dem Aufsichtsrat andererseits. Die Unvereinbarkeit der gleichzeitigen Zugehörigkeit zum Aufsichtsrat umfasst nach § 105 Abs. 1 AktG – neben dem Vorstand – stellvertretende Vorstandsmitglieder (§ 94 AktG), Prokuristen[2] und zum gesamten Geschäftsbetrieb ermächtigte Handlungsbevollmächtigte (§ 54 HGB).[3] Eine Ausnahme von der strikten Funktionstrennung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat macht § 105 Abs. 2 AktG: Danach kann der Aufsichtsrat für einen im Voraus begrenzten Zeitraum, höchstens für ein Jahr, einzelne seiner Mitglieder zu Stellvertretern von fehlenden oder verhinderten Vorstandsmitgliedern bestellen.

 

Rz. 693

§ 52 GmbHG verweist auf § 105 AktG in seiner Gesamtheit, sodass die gleichen Grundsätze bei der GmbH jedenfalls für den obligatorischen Aufsichtsrat zum Tragen kommen. Dem liegt ebenfalls der Gedanke zugrunde, dass es andernfalls zu Konflikten ("Richter in eigener Sache") führen könnte, da einen bestehenden Aufsichtsrat auch bei der GmbH gem. § 52 Abs. 1 GmbHG i. V. m. § 111 AktG Kontrollpflichten gegenüber der Geschäftsführung treffen.

 

Rz. 694

Umstritten ist, ob § 105 Abs. 1 AktG zwingenden Charakter auch für den fakultativen Aufsichtsrat der GmbH hat und daher entsprechende abweichende Satzungsklauseln unzulässig sind.[4] Für den zwingenden Charakter von § 105 AktG spricht, "dass die Einrichtung eines Aufsichtsrats Dritten gegenüber signalisiert, dass ein besonderes Überwachungsorgan geschaffen wurde und damit besonderes Vertrauen hervorgerufen wird".[5] Dieses Argument greift dann jedoch nicht mehr, wenn das betreffende Organ – auch soweit ihm Überwachungs- und ggf. Entscheidungsfunktion zukommt – nicht Aufsichtsrat, sondern "Beirat" genannt wird: Der Rechtsverkehr kann angesichts der mannigfaltigen Gestaltungsmöglichkeiten, die die Gesellschafter in Bezug auf einen (fakultativen) Beirat haben (siehe dazu Rn. 914 f., 918 ff., 1047 ff.), mit einem derartigen Gremium nicht ohne weiteres verbinden, dass es sich um ein "besonderes" (einem Aufsichtsrat entsprechendes) Überwachungsorgan handelt. Gegen eine zwingende Unvereinbarkeit der Zugehörigkeit zur Geschäftsführung und zum fakultativen Beirat spricht auch Folgendes: Vielfach besteht bei GmbHs mit einer Vielzahl von Gesellschaftern das Bedürfnis, Gesellschafterrechte in einem auf wenige Gesellschaftervertreter reduzierten und deshalb zeitlich und räumlich flexibler verfügbaren Beirat zu bündeln. In diesen Fällen bietet es sich an, Geschäftsführern (auch geschäftsführenden Gesellschaftern) zu ermöglichen, in den Beirat gewählt zu werden. Ein derartiger Beirat nimmt letztendlich Gesellschafterrechte wahr; auch in der Gesellschafterversammlung gibt es jedoch keine Inkompatibilität von Gesellschafter- und Geschäftsführerstellung.[6]

 

Rz. 695

Bei den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 105 AktG (soweit dieser nach dem zuvor Gesagten zwingend Anwendung findet) wird wie folgt differenziert: In der Regel wird davon ausgegangen, dass eine Doppelfunktion nicht gewollt ist. Die spätere Bestellung wird solange als schwebend unwirksam angesehen, bis der Funktionsträger die inkompatible frühere Funktion aufgibt (d. h. der zunächst zum Geschäftsführer Bestellte muss dieses Amt niederlegen, wenn er anschließend in den Aufsichtsrat gewählt wird – und umgekehrt). Tritt der Funktionsträger allerdings das neue Amt an, ohne seine frühere Funktion zu beenden, wird die Bestellung zu dem neuen Amt nach § 134 BGB wegen Verstoßes gegen § 52 GmbHG i. V. m. § 105 Abs. 1 AktG als unwirksam angesehen. Das Gleiche gilt, wenn von vornherein eine Kumulation der inkompatiblen Ämter gewollt war; in diesem Fall liegt ein Verstoß gegen § 105 AktG vor, sodass die Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds zum Geschäftsführer gem. § 134 BGB nichtig ist.[7]

 

Rz. 696

Für Rechtshandlungen solcher Funktionsträger, die unter Verstoß gegen § 105 AktG bestellt wurden, gilt: Rechtshandlungen fehlerhaft bestellter Geschäftsführungsmitglieder, stellvertretender Geschäftsführungsmitglieder, Prokuristen und Handlungsbevollmächtigter muss die Gesellschaft gegen sich gelten lassen.[8] Zur Begründung wird teils auf die allgemeinen Grundsätze über das fehlerhafte Organ (Behandlung des fehlerhaft bestellten Organs wie ein wirksam bestelltes) zurückgegriffen[9]; teils wird auf den Vertrauensschutz nach Maßgabe des § 15 HGB verwiesen.[10]

[1] Siehe Windbichler, ZGR 1985, S. 50 ff.
[2] Beachte hierzu für mitbestimmte Gesellschaften § 6...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge