OFD Cottbus, 07.05.1998, S 7200 - 3 - St 131, S 7200 - 10 - St 131

Mit Urteil vom 18.12.1997, Rechtssache C-384/95, UR 1998, 102 hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften über die umsatzsteuerliche Behandlung von Zuwendungen zur Extensivierung der Kartoffelproduktion entschieden.

Artikel 6 Absatz 1 und 11 Teil A Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie (77/388/EWG) des Rates vom 17. Mai 1977 (Sechste Richtlinie) sind dahin auszulegen, dass die von einem Landwirt im Rahmen einer nationalen Entschädigungsregelung eingegangene Verpflichtung, mindestens 20 % der von ihm angebauten Kartoffeln nicht zu ernten, keine Dienstleistung im Sinne der 6. Richtlinie ist und folglich die gezahlten Zuwendungen nicht der Umsatzsteuer unterliegen.

Nach Artikel 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie unterliegen der Mehrwertsteuer „Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt.” Des weiteren bestimmt Artikel 6 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie : „Als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstandes im Sinne des Artikels 5 ist. Diese Leistung kann unter anderem bestehen … in der Verpflichtung, eine Handlung zu unterlassen oder eine Handlung oder einen Zustand zu dulden …”. Obwohl es in der Sechsten Richtlinie nicht zum Ausdruck kommt, ist bei der Beurteilung, ob eine solche Verpflichtung unter das gemeinsame Mehrwertsteuersystem fällt, auf den Verbrauch abzustellen.

Der EuGH weist in seinem Urteil darauf hin, dass das gemeinsame Mehrwertsteuersystem auf dem in Art. 2 Abs. 1 der Ersten Richtlinie 67/227/EWG des Rates vom 11.04.1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer enthaltenen Grundsatz beruht, dass auf Gegenstände und Dienstleistungen bis zur Einzelhandelsstufe eine allgemeine, zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchsteuer anzuwenden ist.

Wie der EuGH übereinstimmend in seinen Urteilen vom 29.02.1996, Rs.

C – 215/94 (Aufgabe der Milcherzeugung, UR 1996, 119) und vom 18.12.1997, Rs. C – 384/95 (Kartoffelextensivierung) feststellt, führen die dem Rechtsstreit zugrundeliegenden Umsätze, nämlich die von einem Landwirt eingegangenen Verpflichtungen zur Verringerung der Produktion, zu keinem Verbrauch. Danach kann die Verpflichtung weder der öffentlichen Hand noch anderen identifizierbaren Personen Vorteile verschaffen, aufgrund derer sie bezüglich einer Dienstleistung als Verbraucher angesehen werden können.

Zahlungen, die insbesondere Land- und Forstwirte aus öffentlichen Kassen der Europäischen Union, des Bundes und der Länder erhalten, sind somit regelmäßig kein Entgelt für eine Dienstleistung i. S. der Sechsten Richtlinie, soweit es sich hierbei um Zuwendungen im Zusammenhang mit der Erbringung sonstiger Leistungen (§ 3 Abs. 9 UStG) handelt und die Zuwendungen aus strukturpolitischem, volkswirtschaftlichem oder anderem öffentlichen Interesse gewährt werden. Sie sind als echte (nicht steuerbare) Zuschüsse zu behandeln.

Die in meiner Kurzinformation 02/94 vom 25.07.1994 gegebenen Hinweise zur umsatzsteuerlichen Behandlung von Zuwendungen in der Landwirtschaft sind insoweit hinfällig.

Gleichwohl kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Gewährung von Zuwendungen aus öffentlichen Kassen weiterhin ein Leistungsaustausch zugrunde liegt. Dies gilt insbesondere dann, wenn auf Grund vertraglicher Vereinbarungen die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben z.B. auf private Einrichtungen übertragen wird und dabei konkret erbrachte Leistungen von einem bestimmten Leistungsempfänger entgolten werden (vgl. BFH vom 13.11.1997 – V R 11/97, BStBl II 1998 S. 169).

Leistungsaustausche liegen beispielsweise vor bei

  • Zuwendungen für die Förderung des freiwilligen Landtausches, soweit beauftragte nichtstaatliche Stellen Vorarbeiten erbringen (vgl. Nr. 20 der Kurzinfo 02/94)
  • Zahlungen an beauftragte Unternehmer für Lieferungen und sonstige Leistungen im Rahmen der Dorferneuerung (vgl. Nr. 22 der Kurzinfo 02/94)
  • Zuwendungen für das Erbringen von Planungsleistungen im Rahmen der Förderung der agrarstrukturellen Vorplanung (vgl. Nr. 31 der Kurzinfo 02/94)
  • Zahlungen an beauftragte Unternehmen für Lieferungen und sonstige Leistungen im Rahmen der Förderung der Flurbereinigung (vgl. Nr. 32 der Kurzinfo 02/94)
  • Zuwendungen für die Förderung der Tierzucht (vgl. Nr. 57 der Kurzinfo 02/94 i.V.m. Kurzinfo 06/94 vom 20.12.94)

Die vorgenannten Grundsätze bitte ich bei der umsatzsteuerlichen Beurteilung von Zuwendungen aus öffentlichen Kassen in der Landwirtschaft anzuwenden.

Ich bitte, anhängigen Klageverfahren abzuhelfen und offene Rechtsbehelfsverfahren zum Abschluss zu bringen.

 

Normenkette

Sechste Richtlinie 77/388/EWG;

Erste Richtlinie 67/227/EWG;

§ 10 UStG

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