OFD Nürnberg, 25.1.2005, S 7100 - 620/St 43

In der Frage, wie die festgesetzte Umsatzsteuer im Falle der Unternehmerinsolvenz im Erhebungsverfahren geltend zu machen ist, wird bei den Finanzämtern des OF-Bezirks bisweilen unterschiedlich verfahren. In der Vergangenheit kam es dadurch vermehrt zu ungerechtfertigten Umsatzsteuererstattungen an die Insolvenzmasse, obwohl eine Aufrechnungslage gegeben war. Zur Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsanwendung bitte ich um Beachtung der nachstehenden Grundsätze.

 

1. Verhältnis von Insolvenzrecht zu Steuerrecht

Gem. § 251 Abs. 2 Satz 1 AO werden die Vorschriften der InsO durch das Steuerrecht nicht berührt und damit auch nicht eingeschränkt. Es gilt der Grundsatz „Insolvenzrecht geht vor Steuerrecht”.

Für die Realisierung von Umsatzsteuerforderungen seitens des Finanzamts im Insolvenzverfahren ist entscheidend, ob diese zu den Insolvenzforderungen oder zu den Masseverbindlichkeiten zählen. Während Insolvenzforderungen zur Insolvenztabelle angemeldet werden müssen und – wenn überhaupt – nur anteilig getilgt werden, hat der Insolvenzverwalter Masseverbindllichkeiten vorab aus der Insolvenzmasse zu befriedigen (u.U. haftet er hierfür). Merkmal für die Einstufung als Insolvenz- oder Masseverbindlichkeit ist ausschließlich der Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründetheit (§ 38 InsO), da es um die insolvenzrechtliche Vermögenszuordnung geht.

 

2. Insolvenzrechtliche Begründetheit

Bei der Umsatzsteuer zu unterscheiden ist die Begründetheit der Umsatzsteuer (§ 38 InsO), die Entstehung (§ 38 AO i.V.m. § 13 UStG) und deren Fälligkeit (§ 220 AO i.V.m. § 18 UStG).

Eine Abgabenforderung ist immer dann vor Insolvenzeröffnung begründet und damit als Insolvenzforderung im Sinne von § 38 InsO zur Tabelle anzumelden, wenn ihr Rechtsgrund zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits gelegt war. Maßgeblich ist hier nicht die Vollrechtsentstehung materieller oder formeller Art, sondern der Zeitpunkt, in dem nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch gelegt worden ist. Eine Steuerforderung ist Insolvenzforderung i.S. vom § 38 InsO, wenn der umsatzsteuerlich relevante Lebenssachverhalt, vor Verfahrenseröffnung verwirklicht worden ist. Nicht entscheidend ist, wann der Anspruch steuerrechtlich entstanden ist.

Eine Umsatzsteuerforderung des Finanzamts gegenüber dem Unternehmer ist demgemäß insolvenzrechtlich dann begründet, wenn ihr Umsatzsteuertatbestand erfüllt wird. Der Umsatzsteuertatbestand ist gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG erfüllt, sobald Lieferungen oder sonstige Leistungen vom Unternehmer im Inland gegen Entgelt ausgeführt werden. Entsprechendes gilt für Vorsteuerbeträge.

Beispiel:

Der Steuerschuldner A verkauft mit Zustimmung des vorläufigen „schwachen” Insolvenzverwalters am 18.11.2004 eine Maschine für 100.000 EUR zzgl. 16.000 EUR Umsatzsteuer. Am 22.11.2004 wird über das Vermögen des Insolvenzschuldners A das Insolvenzverfahren eröffnet.

Lösung:

Die Umsatzsteuer für die steuerbare und steuerpflichtige Lieferung entsteht gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1a UStG mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums 11/2004. Die Umsatzsteuer-Vorauszahlung 11/2004 ist am 10.12.2004 fällig (§ 18 Abs. 1 Satz 3 UStG). Insolvenzrechtlich begründet (§ 38 InsO) ist die Umsatzsteuer für die Lieferung dagegen bereits am 18.11.2004 mit Ausführung der Leistung. Es handelt sich daher insoweit um eine Insolvenzforderung des Finanzamts, da die Begründetheit vor Insolvenzeröffnung liegt.

 

3. Aufrechnung mit Insolvenzforderungen gegen Forderungen der Masse

 

3.1 Grundsatz

Eine Aufrechnung kann erklärt werden, wenn die Aufrechnungslage gegeben ist; dies bedeutet Erfüllbarkeit der Verpflichtung des aufrechnenden Finanzamts (Hauptforderung, Erstattungsanspruch) und gleichzeitige Fälligkeit der Forderung des Finanzamts (Gegenforderung, Steueranspruch).

Das FA erhält über § 94 InsO grundsätzlich die Möglichkeit, sich unabhängig vom Insolvenzverfahren im Steuererhebungsverfahren durch Aufrechnung gegen einen an das FA gerichteten Steuererstattungsanspruch zu befriedigen. Eine bestehende Aufrechnungslage wird durch die Insolvenzeröffnung nicht berührt. Auch wenn die aufzurechnenden Steuerforderungen im Zeitpunkt der Insolvenzverfahrenseröffnung noch bedingt oder nicht fällig, aber schon begründet sind, kann gem. § 95 Abs. 1 InsO die Aufrechnung erfolgen, wenn das Aufrechnungshindernis beseitigt ist (Aufrechnungslage nach Verfahrenseröffnung).

Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 4.5.2004, BStBl 2004 II S. 815 klargestellt, dass das FA im Insolvenzverfahren mit Gegenforderungen aufrechnen kann, die vor Verfahrenseröffnung entstanden sind, ohne dass es deren vorheriger Festsetzung, Feststellung oder Anmeldung zur Insolvenztabelle bedarf. Die Fälligkeit richtet sich in diesen Fällen nach § 220 Abs. 2 Satz 1 AO, wonach der Anspruch mit seiner Entstehung fällig wird.

 

3.2 Aufrechnungsverbot

Gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Aufrechnung allerdings unzulässig, wenn das FA als Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Insolv...

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