2.1 Insolvenzforderungen, Masseforderungen und insolvenzfreie Forderungen

Die Unterscheidung von Insolvenzforderungen[1] und Masseforderungen[2] geht auf den Sinn und Zweck der InsO zurück, aus der Insolvenzmasse die persönlichen Gläubiger zu befriedigen, die einen zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Die Unterscheidung gilt auch für Steuerforderungen des Finanzamts gegen den Insolvenzschuldner. Steuerforderungen können nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausschließlich nach Insolvenzrecht geltend gemacht werden. Je nachdem, ob es sich um Insolvenzforderungen oder Masseforderungen handelt, sind sie unterschiedlich zu behandeln.

Eine Insolvenzforderung (aus Sicht des Insolvenzschuldners eine Insolvenzverbindlichkeit) ist eine zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Forderung des Gläubigers (z. B. des Finanzamts) gegen den Schuldner. Der Zeitpunkt der steuerrechtlichen Entstehung der Forderung ist für diese Einordnung unmaßgeblich, sodass eine Steuerforderung – unabhängig von der steuerrechtlichen Entstehung – immer dann als Insolvenzforderung anzusehen ist, wenn ihr Rechtsgrund zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits gelegt war bzw. der den Steueranspruch begründende Tatbestand nach den steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor der Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen war, es sei denn, dass der Tatbestand der § 55 Abs. 2 oder 4 InsO erfüllt ist.[3] Für den Bereich der Umsatzsteuer liegt eine Insolvenzforderung vor, wenn die Umsatzsteuerschuld zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits begründet war. In diesem Fall werden die Gläubiger dieser Forderungen (auch das Finanzamt mit den entsprechenden Steuerforderungen) zu sog. Insolvenzgläubigern. Ihre Ansprüche sind die Insolvenzansprüche.

Dagegen handelt es sich um Masseforderungen (aus Sicht des Insolvenzschuldners um Masseverbindlichkeiten), die in vollem Umfang vorab aus der Insolvenzmasse zu befriedigen sind[4], wenn die Umsatzsteuerschuld erst nach der Verfahrenseröffnung begründet worden ist. Es handelt sich hierbei insbesondere um solche Umsatzsteuerforderungen, die auf Verwertungshandlungen des Insolvenzverwalters beruhen. Nach der Insolvenzeröffnung sind die Abgabenansprüche begründet, wenn der einzelne – unselbständige – Besteuerungstatbestand nach der Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht wurde.[5] Aus Sicht der Finanzverwaltung ist es vorteilhaft, wenn eine Steuerschuld (insbesondere eine Umsatzsteuerschuld) als Masseforderung anzusehen ist. Aus Sicht des Insolvenzverwalters und der übrigen Gläubiger ist dies nachteilig, weil die vollständig abzuführende Umsatzsteuer die zu verteilende Masse schmälert.

[3] Nr. 5.1 AEAO zu § 251 AO.
[4] Vgl. § 53 InsO.
[5] Nr. 6.1 AEAO zu § 251 AO.

2.2 Abgrenzung der Insolvenzforderungen von den Masseforderungen

2.2.1 Geltendmachung von Insolvenzforderungen und Masseforderungen

Insolvenzforderungen können durch das Finanzamt nur geltend gemacht werden, in dem das Finanzamt (i. d. R. die Vollstreckungs- oder Erhebungsstelle) diese beim Insolvenzverwalter zur Insolvenztabelle anmeldet.[1] Insolvenzforderungen werden in der Praxis – wenn überhaupt – nur quotenmäßig befriedigt (Insolvenzquote), meist nur im einstelligen Prozentbereich. Praktiker führen die geringen Insolvenzquoten auf strukturelle Mängel des deutschen Insolvenzverfahrens zurück.[2]

 
Hinweis

Umsatzsteuer als Masseforderung

Umsatzsteuerforderungen, die als Masseforderungen anzusehen sind, werden durch Umsatzsteuerbescheid (evtl. auch durch Haftungsbescheid) gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend gemacht. Aus dem Umsatzsteuerbescheid muss ersichtlich sein, dass es sich um die Festsetzung der Umsatzsteuer als Masseforderung handelt.[3]

[2] Vgl. Haarmeyer, BB 24/2018, I.
[3] Vgl. Nr. 4.3.3 AEAO zu § 251 AO.

2.2.2 Wann ist eine Umsatzsteuerforderung "begründet"?

Insolvenzforderungen sind nach § 38 InsO die bis zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensansprüche gegen den Insolvenzschuldner. Eine Umsatzsteuerforderung des Finanzamts gegenüber dem Insolvenzschuldner ist danach begründet, wenn der umsatzsteuerliche Tatbestand vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzschuldner vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist.[1] Nach der Rechtsprechung des BFH ist entscheidend, ob die Hauptforderung ihrem Kern nach bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist. Danach ist ein Steueranspruch immer dann Insolvenzforderung, wenn er vor Eröffnung des Verfahrens in der Weise begründet worden ist, dass der zugrunde liegende zivilrechtliche Sachverhalt, der zur Entstehung der Steuerforderung führt, bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist. Ist von einer Tatbestandsverwirklichung erst nach Insolvenzeröffnung auszugehen und wurde der sich aus einer Besteuerungsgrundlage ergebende Steueranspruch entsprechend § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet, liegt dagegen eine Masseforderung ...

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