Leitsatz

1. Eine Kindergeldfestsetzung ist ein zeitlich teilbarer Verwaltungsakt. Die Familienkasse ist daher befugt, eine unrichtige oder unrichtig gewordene Kindergeldfestsetzung in der Weise zu ändern, dass sie für verschiedene Zeitabschnitte (gesonderte) Änderungsbescheide erlässt.

2. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 wird nicht durch § 70 Abs. 3 EStG verdrängt; beide Vorschriften sind nebeneinander anwendbar.

3. Der Rückforderung zuviel gezahlten Kindergeldes kann der Grundsatz von Treu und Glauben entgegenstehen, wenn die Familienkasse mit der Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs zu lange zuwartet.

 

Normenkette

§ 70 EStG

 

Sachverhalt

Im Juli 1995 heiratete der Sohn (S) des Klägers. Dieser erhielt für S Kindergeld. In Erklärungen zu den Einkünften und Bezügen des Kindes vom Mai 1996 und Februar 1997 gab der Kläger an, die Ehefrau des S verfüge über ein Gehalt von monatlich 3 000 DM bzw. 3 250 DM.

Daraufhin hob die Familienkasse die Kindergeld-Festsetzung ab April 1997 mit Bescheid vom 16.6.1997 auf. Am 29.8.1998 erließ die Familienkasse den strittigen Bescheid, mit dem sie die Kindergeld-Festsetzung von Januar 1996 bis März 1997 gem. § 70 Abs. 2 EStG aufhob und das in dieser Zeit gezahlte Geld in Höhe von 4 500 DM zurückforderte.

Das FG hob den Bescheid vom 29.8.1998 mit der Begründung auf, der Aufhebungsbescheid vom 16.6.1997 habe die Befugnis der Familienkasse zur Aufhebung der Kindergeld-Festsetzung "konsumiert". Eine Rückforderung sei nicht mehr möglich gewesen.

 

Entscheidung

Der BFH hob die Vorentscheidung auf. Die Familienkasse sei nicht gehindert gewesen, nach Erlass des ersten Änderungsbescheids vom 16.6.1997 einen weiteren Bescheid zu erlassen. Die beiden Bescheide seien in ihrem Regelungsinhalt völlig verschieden.

Der BFH wies die Sache zugleich an das FG zurück. Es lägen Umstände vor, die die Rückforderung ganz oder teilweise als treuwidrig erscheinen lassen könnten (zur Trennung von Festsetzungs- und Erhebungsverfahren: vgl. BFH, Urteil vom 12.1.2001, VI R 181/97, BFH-PR 2001, 202). Ein solcher Umstand könnte darin liegen, dass die Familienkasse – trotz Kenntnis der Eheschließung des S – Kindergeld bis März 1997 weitergezahlt bzw. erst mehr als zwei Jahre nach Kenntniserlangung den Rückforderungsbescheid vom 29.8.1998 erlassen habe.

 

Hinweis

Der BFH hat in der Besprechungsentscheidung die Auffassung abgelehnt, die Familienkasse bringe mit dem Erlass eines Änderungsbescheids zum Ausdruck, dass eine weitere Aufhebung (für einen anderen Zeitabschnitt) unterbleibe; er trat insbesondere der von mehreren Finanzgerichten vertretenen Ansicht nicht bei, der erste Änderungsbescheid "konsumiere" weitere Bescheide.

Der BFH hat vielmehr klargestellt, dass die Familienkasse grundsätzlich nicht gehindert ist, mehrere Bescheide (über verschiedene Zeitabschnitte) zu erlassen. So ist es z.B. rechtlich unbedenklich, wenn die Familienkasse zunächst eine Entscheidung darüber herbeiführt, dass (unberechtigte) Kindergeldzahlungen zukünftig unterbleiben.

Davon sind solche Bescheide zu unterscheiden, in denen Kindergeld-Festsetzungen geändert werden mit der Folge, dass Kindergeld zurückgefordert werden kann. Solche Bescheide müssen nicht zeitgleich mit Bescheiden ergehen, in denen Kindergeld-Festsetzungen für die Zukunft aufgehoben werden.

Eine andere Entscheidung ist im Übrigen schon deshalb nicht möglich, weil – entsprechend dem Monatsprinzip des § 66 Abs. 2 EStG – Kindergeld-Festsetzungen monatliche Kindergeldansprüche umfassen. Demnach können solche Ansprüche auch für einzelne Monate aufgehoben oder geändert werden.

Entscheidend ist immer, welchen Regelungsinhalt die verschiedenen Kindergeldbescheide haben.

Wie zu entscheiden wäre, wenn die Familienkasse etwa (mutwillig) zahllose Änderungsbescheide für die Vergangenheit (quasi scheibchenweise) erließe und deshalb der Rechtsschutz wesentlich erschwert wäre, konnte im Streitfall offen bleiben.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 26.7.2001, VI R 163/00

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