Entscheidungsstichwort (Thema)

Fähigkeit zum Selbstunterhalt eines verheirateten behinderten Kindes. keine Kürzung des Unterhaltsanspruchs gegenüber dem Ehegatten um dessen familienrechtlich vorrangige Unterhaltsverpflichtungen gegenüber eigenen Kindern

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass in Höhe der Hälfte der Differenz zwischen den Einkünften des unterhaltsverpflichteten Ehepartners und den geringeren eigenen Mitteln des Kindes Unterhaltsleistungen des Ehegatten anzunehmen sind.

2. Zur Beurteilung der Frage, ob ein abzweigungsberechtigtes behindertes Kind außerstande ist, sich selbst zu unterhalten und deshalb ein Kindergeldanspruch besteht, sind die dem behinderten Kind rechnerisch zustehenden Unterhaltsansprüche gegenüber seinem Ehegatten nicht um familienrechtlich vorrangige Unterhaltsansprüche eigener Kinder des Ehegatten zu kürzen.

 

Normenkette

EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3, S. 2; BGB §§ 1360, 1360a, 1602 Abs. 1, § 1608

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Von den Kosten des Verfahrens haben die Beklagte 25 % und die Klägerin 75 % zu tragen.

3. Das Urteil ist hinsichtlich der erstattungsfähigen Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

5. Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten wird für notwendig erklärt.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rückforderung von Kindergeld für den Streitzeitraum Januar 2016 bis Dezember 2018. Streitig ist die Frage, ob die behinderte Klägerin zum Selbstunterhalt imstande ist. Zu klären ist dabei insbesondere, ob die dabei gegenüber ihrem Ehemann zu berücksichtigenden Unterhaltsansprüche wegen familienrechtlich vorrangiger Unterhaltsansprüche eigener Kinder zu kürzen sind.

Die verheiratete Klägerin ist das am … geborene abzweigungsberechtigte Kind A. Sie ist verheiratet mit B. Die Klägerin gehört zum Personenkreis der behinderten Menschen; das Versorgungsamt Erfurt hat mit Schwerbehindertenausweis vom 22.04.1997 für sie einen Grad der Behinderung von 60 ab dem 16.12.1996 ohne Merkzeichen (Bl. 176 der Kindergeldakte), zuletzt ohne Befristung festgestellt (Bl. 49 f. der Gerichtsakte 2 K 150/20). Die Klägerin und ihr Ehemann sind Eltern zweier minderjähriger mit 70 und 60 % behinderter Kinder.

Nachdem die Klägerin bis zur 9. Klasse eine staatliche Förderschule für Lernbehinderte besuchte, beendete sie am 22.01.1997 den sich anschließenden etwa zehnmonatigen Förderlehrgang beim C vorzeitig. In der Folge belegte die Klägerin im Zeitraum vom 01.09.1997 bis zum 31.08.1999 ein Arbeitstraining in der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) beim D gGmbH und wurde ab dem 01.09.1999 in den dortigen Arbeitsbereich übernommen. Mit Ablauf des Mutterschutzes im September 2013 schied sie nach der Geburt ihres Sohnes am ...2013 aus der teilstationären Betreuung der Werkstatt aus und begann ab Januar 2014 als Zustellerin für die E GmbH zu arbeiten.

Im Streitzeitraum war die Klägerin ab Januar 2016 bis zum Februar 2017 wiederum für denselben Arbeitgeber als Zustellerin tätig und erhielt Nettobeträge in Höhe von 254,49 EUR bis 533,63 EUR. Zu weiteren Einzelheiten wird auf die Gehaltsabrechnungen verwiesen (Bl. 721 – 877 der Kindergeldakte). Nachdem die Klägerin im Zeitraum vom 23.01. bis 27.01.2017 Krankengeld in Höhe von 90,– EUR erhielt (72 EUR = 80 % des Arbeitsentgeltes Bl. 683 KG-Akte), wurde ihr nach der Geburt ihrer Tochter am ...2017 ab Februar 2017 Elterngeld gezahlt und zwar rückwirkend im Juni 2017 in Höhe von insgesamt 279,41 EUR: für den Zeitraum bis zum 27.03.2017 27,85 EUR, für den Zeitraum vom 28.04.2017 bis 27.05.2017 7,23 EUR und für den Zeitraum vom 28.06.bis 27.07.2017 244,33 EUR. Ab dem 28.07.2017 erhielt sie jeweils monatlich bis zum 27.09.2018 ElterngeldPlus in Höhe von 158,27 EUR (Bl. 684 ff. der Kindergeldakte). Das Mutterschaftsgeld in Höhe von 10,31 EUR, das die Klägerin bis zum 04.07.2017 erhielt, wurde gemäß § 3 Abs. 1 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) angerechnet (Bl. 686 KG-Akte). Ab Dezember 2018 war sie wieder als Zustellerin tätig und erhielt für diesen Monat Nettoeinkünfte in Höhe von 136,10 EUR (Bl. 832 KG-Akte).

Der Ehemann der Klägerin war im gesamten Streitzeitraum Januar 2016 bis Dezember 2018 ebenfalls als Zusteller tätig und zwar sowohl für die F GmbH als auch die E GmbH. Er erhielt in diesem Zeitraum Nettolohnbeträge in Höhe von 1.376,64 EUR bis 2.052,41 EUR bei der F GmbH und Nettolohnbeträge in Höhe von 214,95 EUR bis 519,05 EUR bei der E GmbH. Zu weiteren Einzelheiten wird auf die Gehaltsabrechnungen verwiesen (Bl. 721 ff., 757 ff., 860 ff. der KG-Akte, Bl. 235 ff. der Gerichtsakte). Zudem erhielt B für den Zeitraum vom 01.09.2018 bis 31.12.2018 Wohngeld in Höhe von 51,00 EUR für vier Haushaltsmitglieder (Bl. 680 ff. KG-Akte).

Die Familienkasse Sachsen-Anhalt-Thüringen hob die Kindergeldf...

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