Leitsatz

Bei börsennotierten verzinslichen Wertpapieren ohne feste Laufzeit, die von den Gläubigern nicht gekündigt werden können, liegt eine voraussichtlich dauernde Wertminderung vor, wenn der Börsenwert zum Bilanzstichtag unter denjenigen im Zeitpunkt des Erwerbs der Anteile gesunken ist und der Kursverlust die Bagatellgrenze von 5 % der Anschaffungskosten bei Erwerb überschreitet.

 

Normenkette

§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Sätze 1 und 2, Nr. 1 Satz 3 EStG, § 8 Abs. 1 KStG

 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine GmbH, hielt in ihrem Umlaufvermögen zwei Anleihen (ISIN DE000A0GLDZ3 und DE000A0GWWW7). Der Zinssatz war variabel und vom Euribor abhängig. Es handelte sich um nachrangige Bankschuldverschreibungen, die unbesichert waren, im Liquidationsfall nachrangig waren, aber vor den Ansprüchen der Aktionäre rangierten und dem Kernkapital zugeordnet wurden. Zinszahlungen durften nur geleistet werden, wenn ausreichend verteilbarer Gewinn vorhanden war; ausgefallene Zinszahlungen durften nicht nachgezahlt werden. Durch das höhere Ausfallrisiko traten höhere Kursschwankungen auf.

Beide Anleihen waren bei Fälligkeit zu 100 % des Nennkapitals rückzahlbar, hatten keine feste Laufzeit und konnten nur von der Emittentin (aber nicht von den Gläubigern/Anlegern) zu bestimmten Zeitpunkten gekündigt werden, wenn genügend Mittel für eine Rückzahlung vorhanden waren (aufsichtsrechtliche Zustimmung erforderlich).

Die Anleihen wurden nach einer ordentlichen Kündigung am 4.3.2021 bzw. 9.4.2021 zum Nominalwert zurückgezahlt.

Zum 31.12.2012 betrugen die Kurse der beiden Anleihen 50 %.

Die Klägerin bewertete die Anleihen in ihrer Bilanz zum 31.12.2012 mit dem Kurswert als Teilwert.

Nach einer Außenprüfung vertrat das FA die Auffassung, die Anleihen seien mit dem Nominalwert anzusetzen. Es erließ Änderungsbescheide. Der Einspruch blieb erfolglos.

Das FG (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.10.2020, 10 K 10021/17, Haufe-Index 14292239) gab der Klage statt. Bei Wertpapieren ohne feste Laufzeit mit nur einseitigem Kündigungsrecht der Emittentin führe ein Kursrückgang regelmäßig zu einer voraussichtlich dauernden Wertminderung, falls eine Kündigung durch die Emittentin noch nicht absehbar sei.

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision des FA, der das BMF beigetreten war, zurück.

 

Hinweis

1. Bei börsennotierten Aktien etc. darf der Steuerpflichtige grundsätzlich von einer voraussichtlich dauernden Wertminderung ausgehen, wenn der Börsenwert zum Bilanzstichtag unter den bei Erwerb gesunken ist und der Kursverlust die Bagatellgrenze von 5 % der Notierung bei Erwerb überschreitet (vgl. BFH, Urteil vom 13.2.2019, XI R 41/17, BFH/NV 2019, 624, BStBl II 2021, 717, Rz. 30).

2. Bei festverzinslichen Wertpapieren mit fester Laufzeit fehlt es hingegen in der Regel an einer "voraussichtlich dauernden" Wertminderung, soweit die Kurswerte der Papiere unter den Nominalwert abgesunken sind (vgl. BFH, Urteil vom 13.2.2019, XI R 41/17, BFH/NV 2019, 624, BStBl II 2021, 717, Rz. 32), weil der Kurs zwangsläufig sukzessive ansteigt und im Fälligkeitszeitpunkt (wieder) den Nominalbetrag bzw. Nominalwert erreicht (vgl. BFH, Urteil vom 24.10.2012, I R 43/11, BFH/NV 2013, 311, BStBl II 2013, 162, Rz. 16).

3. Die vom BFH im Besprechungsurteil zu beurteilende Anleihe ohne feste Laufzeit lag zwischen diesen beiden Polen der Rechtsprechung. Sie konnte nur von der Emittentin (und nicht vom Gläubiger) gekündigt werden, die dazu außerdem noch eine aufsichtsrechtliche Genehmigung benötigte. Der BFH leitete daraus ab, dass die Rückzahlung der Anleihe zum Bilanzstichtag ungewiss war. Darum galt aus seiner Sicht der unter 1. genannte Grundsatz.

4. Unschädlich hierfür war, dass die Anleihe mehrere Jahre später doch gekündigt worden war. Der BFH verneinte insoweit eine wertaufhellende Tatsache (vgl. dazu allgemein BFH, Urteil vom 2.7.2021, XI R 29/18, BFH/NV 2021, 1563, BStBl II 2022, 205, Rz. 30).

5. Der BFH betont außerdem erneut, dass wegen des Wertaufholungsgebots die Anforderungen an die Darlegungen zur voraussichtlich dauernden Wertminderung nicht überspannt werden dürfen. Es sichert die zutreffende Besteuerung, dass der Steuerpflichtige gemäß seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zum jeweiligen Bilanzstichtag besteuert wird.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 23.8.2023 – XI R 36/20

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge