Um individualisierte Produkte zu bezahlbaren Preisen marktgerecht anbieten zu können, sind Industrieunternehmen sämtlicher Branchen in hochkomplexe Wertschöpfungsnetzwerke eingebunden. Die damit verknüpfte Bedeutung des Einkaufs ist nicht nur strategischer Natur, sondern wird auch finanziell in der Gewinn- und Verlustrechnung ersichtlich, da der Aufwand für zugekaufte Materialen, Vorprodukte und Dienstleistungen den Gewinn maßgeblich beeinflusst.

Diese erfolgskritische Bedeutung des Einkaufs ist durch Outsourcing von Wertschöpfung als Folge von strategischen Make-Or-Buy Entscheidungen entstanden. Die daraus entstandenen Wertschöpfungsnetzwerke müssen vom Einkauf in Zusammenarbeit mit anderen Fachbereichen wie dem Controlling, dem Qualitätswesen, der Entwicklung, der Logistik etc. gesteuert werden. Vereinfachend und umgangssprachlich werden Wertschöpfungsnetzwerke häufig als Lieferketten bezeichnet und hinsichtlich ihrer Material-, Finanz- und Informationsflüsse optimiert. Diese Optimierung ist nicht trivial, da Wertschöpfungsnetzwerke häufig komplex und intransparent sind. Außerdem sind Zielkonflikte inhärent, da beispielsweise Preiseinsparungen mit Innovationen, Qualität und/oder sicherer Belieferung häufig in einem Konkurrenzverhältnis stehen. Mit steigendem Anteil der externen Wertschöpfung (für komplexe Produkte i. d. R. >50 %), hat daher ein effektives Lieferanten-Risikomanagement bei Industrieunternehmen an strategischer Bedeutung gewonnen, um eine effiziente und dennoch sichere Belieferung zu ermöglichen.

Abb. 1 verdeutlicht am Beispiel der Automobilindustrie die zunehmende Bedeutung eines Risikomanagements im Einkauf, da sich die Rahmenbedingungen sowohl auf den Absatz- als auch den Beschaffungsmärkten der Industrie kontinuierlich verschärfen. So steigt beispielsweise die Komplexität der automobilen Wertschöpfungsnetzwerke mit zunehmender Anzahl von Modellvarianten, fortschreitender Internationalisierung, stetigen Produktinnovationen sowie starkem Kosten- und Qualitätsdruck. Hinzu kommen verschärften Anforderungen und Überwachung durch den Corporate Social Responsibility Ansatz.

Abb. 1: Beschaffungsmarkt Rahmenbedingungen am Beispiel der Automobilindustrie

Dieser Trend zu verschärften Rahmenbedingungen auf den Absatz- und Beschaffungsmärkten ist nicht nur in der Automobilindustrie, sondern auch in zahlreichen anderen Industrien zu beobachten. Dies hat industrieübergreifend zu einer verstärkten Bedeutung des Einkaufs im Allgemeinen sowie eines strategischen Lieferanten-Risikomanagements im Speziellen geführt. Wollen Unternehmen langfristig erfolgreich seien, müssen sie nicht nur am Absatzmarkt die Bedürfnisse der Kunden befriedigen, sondern auch ihre Wertschöpfungsnetzwerke effektiv managen, da diese für die effiziente Fertigung ihrer Produkte oder Erbringung ihrer Dienstleistungen erfolgsentscheidend sind.

Als Folge der ins Liefernetzwerk ausgegliederten Wertschöpfung stehen Unternehmen nicht nur auf den Absatzmärkten im Wettbewerb, sondern auch auf ihren jeweiligen Beschaffungsmärkten. Häufig beliefert der eigene Lieferant auch die direkten Wettbewerber, womit ein direktes Konkurrenzverhältnis um kostengünstige und zuverlässige Belieferung entsteht. Würde beispielsweise ein Lieferant überbezahlt werden, schmälert das nicht nur den Gewinn des einkaufenden Unternehmens, sondern subventioniert auch indirekt die Preise und Belieferung von Konkurrenten, die bei dem gleichen Lieferanten einkaufen.

Unternehmen aller Größen und Branchen haben daher die strategische Bedeutung des Einkaufs im Allgemeinen und die Bedeutung des strategischen Lieferanten-Risikomanagement im Speziellen erkannt. Der breiten Öffentlichkeit wurde die Bedeutung und Verletzbarkeit von Wertschöpfungsnetzwerken durch die Lieferengpässe aufgezeigt, welche als Folge der COVID-Krise auftraten und bis heute nicht vollständig überwunden sind.

Dieses Risikobewusstsein ist essenziell, da die heutigen komplexen und internationalen Wertschöpfungsnetzwerke vielfältigen Risiken ausgesetzt sind. Neben peripheren Risiken (z. B. politische Unruhen, Katastrophen) zählen auch marktspezifische Risiken (z. B. Wechselkursschwankungen, Monopole) sowie lieferantenspezifische Risiken (z. B. Lieferantenausfall, Qualitätsprobleme) zu den strategischen und operativen Risiken in der Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen. Die meisten der genannten Risiken sind pure Risiken (wie Krankheit), die – anders als spekulative Risiken (wie Roulette) – keine Gewinnchance, sondern nur ein Verlustrisiko aufweisen. So können lieferantenseitige Risiken die Belieferung von einkaufenden Unternehmen verringern, verzögern oder sogar ganz abreißen lassen.

Eine Störung oder Abriss von Lieferketten, von welchen geteilte Wertschöpfung abhängt, führt leicht zu strategischen, operativen und finanziellen Folgeschäden. Sobald die Sicherheitsbestände aufgebraucht sind, kann das einkaufende Unternehmen die eigenen Wertschöpfungsaktivitäten nicht mehr aufrechterhalten und somit die eigenen Ku...

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