Rz. 27

§ 4 Nr. 28 UStG erstreckt sich nur auf die Lieferung von Gegenständen. Für die Auslegung des Begriffs der Lieferung in § 4 Nr. 28 UStG ist der allgemeine Lieferungsbegriff i. S. v. § 1 Abs. 1 UStG i. V. m. § 3 Abs. 1 UStG maßgeblich.[1] Danach verlangt eine Lieferung die Verschaffung der Verfügungsmacht. Von daher kommt § 4 Nr. 28 UStG bei einer entgeltlichen Verpflichtung zum Abbruch von vorher steuerfrei vermieteten Lagerhallen nicht in Betracht.[2] § 4 Nr. 28 UStG 1980 enthält somit für die verwendeten Begriffe "Lieferungen von Gegenständen" keine eigenständige Begriffsumschreibung.

 

Rz. 28

Nach § 3 Abs. 1 UStG sind Lieferungen eines Unternehmers Leistungen, durch die er den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Das Wort "Gegenstand" im Zusammenhang mit dem Lieferbegriff in § 4 Nr. 28 UStG wurde deswegen gewählt, damit auch Wirtschaftsgüter, die im Verkehr wie körperliche Sachen behandelt werden, mit umfasst werden, z. B. der elektrische Strom und die Wasserkraft.[3] Allerdings dürften seit dem EuGH-Urteil v. 22.10.2009[4] der Firmenwert (Geschäfts-, Praxiswert) und der Kundenstamm nicht mehr wie körperliche Sachen zu behandeln sein. Die Verwaltung geht bei Umsätzen mit diesen Wirtschaftsgütern von sonstigen Leistungen aus.[5] Somit können der Firmenwert und der Kundenstamm nicht mehr unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 28 UStG (die Vorschrift begünstigt nur Lieferungen) steuerfrei übertragen werden. Zu potenziellen Steuerfallen bei der Umstrukturierung von ärztlichen Praxen / Berufsausübungsgemeinschaften auch im Zusammenhang mit § 4 Nr. 28 UStG z. B. bei einer Veräußerung des vertragsärztlichen Kundenstamms vgl. Röhrig/Szabó.[6]

 

Rz. 29

Die früher streitige Frage der Steuerfreiheit der Umsätze mit Firmenwerten oder Praxiswerten[7] hatte sich durch die Einführung der Nichtsteuerbarkeit der Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung zum 1.1.1994 ohnehin bereits entschärft.

 

Rz. 30

Nach ihrem Wortlaut gilt die Steuerbefreiung inzident auch für die den Lieferungen gleichgestellten unentgeltlichen Wertabgaben (Entnahmen, Zuwendungen). Insofern läuft die Regelung jedoch leer, weil die Steuerbarkeit der einer Lieferung gleichgestellten Entnahme oder Zuwendung nach § 3 Abs. 1b UStG voraussetzt, dass der entnommene oder zugewendete Gegenstand oder seine Bestandteile zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben. Die Berechtigung zum Vorsteuerabzug darf für einen nach § 4 Nr. 28 UStG gelieferten Gegenstand jedoch gerade nicht bestanden haben. Insofern sind Entnahmen oder unentgeltliche Zuwendungen, die hinsichtlich des Vorsteuerabzugs die in § 4 Nr. 28 UStG festgelegten Voraussetzungen erfüllen würden, bereits nach § 3 Abs. 1b UStG nicht steuerbar.

 

Rz. 31

Auf sonstige Leistungen ist die Vorschrift nicht anwendbar. Eine Erstreckung der Regelung im Wege analoger Rechtsanwendung auf sonstige Leistungen ist ebenfalls nicht möglich. § 4 Nr. 28 UStG enthält insoweit keine "gesetzesplanwidrige Unvollständigkeit". Die Regelung hat die Aufgabe, Doppelbelastungen zu verhindern. Bei vorsteuerbelastetem Erwerb soll eine weitere Veräußerung nicht zu einer erneuten Umsatzsteuerbelastung führen. Diesem Regelungszweck widerspricht die Steuerbelastung einer sonstigen Leistung nicht, denn sie führt nicht zu einer erneuten Belastung der Veräußerung bzw. des Erwerbs. Durch die umsatzsteuerrechtliche Belastung einer sonstigen Leistung wird nicht derselbe Vorgang (Veräußerung eines bestimmten Gegenstands) ein zweites Mal besteuert, sondern diese (sonstige) Leistung, die ihrer Art nach von einer erneuten Lieferung zu unterscheiden ist und die gerade nicht zu einer erneuten Verschaffung der Verfügungsmacht führt, wird umsatzsteuerlich erstmals erfasst. Auch der Zusammenhang mit § 15a UStG lässt erkennen, dass der Anwendungsbereich des § 4 Nr. 28 UStG nicht auf sonstige Leistungen zu erstrecken ist.[8]

[4] EuGH v. 22.10.2009, C-242/08, Swiss Re, BFH/NV 2009, 2108.
[5] Abschn. 3.1 Abs. 1 UStAE, wo im Gegensatz zu Abschn. 24 Abs. 1 UStR 2008 der Firmenwert und der Kundenstamm nicht mehr als Beispiele für Wirtschaftsgüter, die im Wirtschaftsverkehr wie körperliche Sachen behandelt werden, aufgeführt sind.
[6] UVR 2020, 22.
[7] Abschn. 122 Abs. 2 UStR 1993; Geschäftswert/Praxiswert gehörte nicht zu den Gegenständen nach § 4 Nr. 28 UStG, BFH v. 21.12.1988, V R 24/87, BStBl II 1989, 430, BFH v. 25.2.1993, V R 35/89, BStBl II 1993, 641, BMF v. 20.7.1989, IV A 3-S 7188-4/89, BStBl I 1989, 265, Hessisches Ministerium der Finanzen v. 9.9.1992, UR 1993, 104, BMF v. 8.11.1993, UR 1994, 89.
[8] BFH v. 26.4.1995, XI R 75/94, BStBl II 1995, 746; diese Begründung läuft seit der Erweiterung des § 15a UStG zum 1.1.2005 auf sonstige Leistungen allerdings ins Leere.

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