Rz. 17

Die Vorschrift betrifft nur Unternehmer. Das versteht sich eigentlich von selbst, denn nur diese können zum Vorsteuerabzug berechtigt sein oder eine Steuerbefreiung in Anspruch nehmen, und daher können auch nur ihnen diese Rechte versagt werden.

 

Rz. 18

Die Versagung setzt voraus, dass der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit der von ihm erbrachten Leistung oder einem Leistungsbezug an einem Umsatz beteiligt, bei dem der Leistende oder ein anderer Beteiligter auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe in eine begangene Umsatzsteuerhinterziehung oder Erlangung eines nicht gerechtfertigten Vorsteuerabzugs oder in eine Schädigung des Umsatzsteueraufkommens einbezogen war.

Dieses Wissen muss im Zeitpunkt des Bezugs der Vorleistung[1] konkret und positiv beim Unternehmer vorhanden gewesen sein; es genügt nicht, dass er nur etwas ahnte oder vermutete.[2] Das ergibt sich aus dem Prinzip des Sofortabzugs der Vorsteuer. Maßgebend ist die im Zeitpunkt des Bezugs bestehende Verwendungsabsicht des Unternehmers und daher müssen auch alle anderen subjektiven Voraussetzungen zu diesem Zeitpunkt beim Unternehmer vorliegen.

 

Rz. 19

Da allerdings auch das Nichtwissen genügt, wenn sich der Unternehmer nicht pflichtgemäß um das Verhalten seines Vorunternehmers oder Abnehmers gekümmert hat und er daher um die Straftaten dieser Beteiligten hätte wissen müssen – nicht nur hätte wissen können, muss dem Unternehmer nachgewiesen werden, dass er bei gehöriger Sorgfalt die subjektiv fehlende Kenntnis erlangt hätte, wenn der Verdacht aufgrund der bekannten Umstände so plausibel war, dass weitere Erkundigungen sich aufdrängten. Das pflichtwidrige Versäumnis der näheren Aufklärung schließt den Gutglaubensschutz aus und rechtfertigt dann die Versagung des Vorsteuerabzugs oder der Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung.

 

Rz. 20

Das Gesetz gibt für die Intensität dieser Bemühungen keinen Maßstab vor. Es bietet sich an, hier die Sorgfalt des ordentlichen Kaufmanns zu verlangen, die auch in § 6a Abs. 4 UStG gefordert wird der hinsichtlich der Überprüfung der Angaben des Abnehmers bei der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen. Der zum 1.1.2020 aufgehobene § 25d UStG hatte auch diesen Maßstab für die damals vorgesehene Haftung postuliert. Der EuGH hat in seinen Urteilen zum Vertrauensschutz des redlichen und unerkennbar getäuschten Unternehmer darauf abgestellt, ob der Unternehmer "alle ihm zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um sicherzustellen, dass die von ihm vorgenommene innergemeinschaftliche Lieferung nicht zu seiner Beteiligung an einer solchen Steuerhinterziehung führt"[3]

 

Rz. 21

Es genügt also nicht, dass der Unternehmer nach dem Motto "Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß" die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen über das steuerliche Verhalten seiner Geschäftspartner ignoriert. Vielmehr muss er sich im Rahmen des Zumutbaren aktiv um Aufklärung bemühen.[4] Daran fehlt es gewiss, wenn er z. B. den wahren Abnehmer seiner – tatsächlich stattgefundenen – innergemeinschaftlichen Lieferung in der Absicht verschleiert, um diesem die Hinterziehung der Erwerbsteuer im Bestimmungsland zu ermöglichen.[5] Das sind Beispiele aus der EuGH-Rechtsprechung für die in § 25f UStG angesprochene Hinterziehung auf der nachfolgenden Umsatzstufe. Das BVerfG hat die auf dieser Linie liegende Rechtsprechung des BFH und des BGH für verfassungskonform erklärt[6]; es gibt hier also keinen Konflikt zwischen EuGH und BVerfG.

 

Rz. 22

Im Urteil vom 7.3.2018[7] hat der EuGH den Vorsteuerabzug versagt, wenn die Steuerverwaltung aufgrund der einem Unternehmer vorgeworfenen Pflichtverletzungen die Angaben zur Feststellung des Vorsteuerabzugsrechts nicht überprüfen konnte, wobei in Betracht kam, dass der Unternehmer betrügerisch gehandelt hat.

 

Rz. 23

Beim "Wissenmüssen" des Unternehmers um die strafbaren Handlungen seines Vorunternehmers im Zusammenhang mit dem Leistungsbezug kann auch auf die in Abs. 2 des aufgehobenen § 25d UStG niedergelegt Erfahrung zurückgegriffen werden, wonach der Kenntnis oder dem Kennenmüssen insbesondere auszugehen ist, wenn der Vorunternehmer für seinen Umsatz einen Preis in Rechnung stellt, der zum Zeitpunkt des Umsatzes unter dem marktüblichen Preis liegt. Der Gesetzgeber hat dies zwar in den neuen § 25f UStG nicht ausdrücklich übernommen. Gleichwohl sollte ein derartiges Verhalten des Vorunternehmers den sorgfältigen Kaufmann veranlassen, die näheren Umstände dieser Preisgestaltung zu hinterfragen, denn es ist allgemein bekannt, dass im zwischenunternehmerischen Handel marktunübliche Preise häufig allein darauf zurückgehen, dass durch wiederholte Karussellgeschäfte auch der niedrige Preis dem Betrüger immer noch Profit bringt.[8] Das muss ein sorgfältiger Kaufmann heutzutage wissen. Auch die unübliche Forderung nach Barzahlung sollte den einkaufenden Unternehmer stutzig machen und zu genaueren Erkundigungen über seinen Geschäftspartner anhalten.

 

Rz. 24

Das Wissen oder Wis...

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