Entscheidungsstichwort (Thema)

Umsatzsteuer als Masseverbindlichkeit. Duldung der gewerblichen Tätigkeit des Schuldners durch den Insolvenzverwalter

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Einnahmen aus einer selbstständigen Tätigkeit des Schuldners nach der Insolvenzeröffnung fallen nach § 35 InsO in die Insolvenzmasse, während die damit im Zusammenhang stehenden Ausgaben und Verbindlichkeiten sich nur dann gegen die Insolvenzmasse richten, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 InsO erfüllt sind.

2. Die Duldung der gewerblichen Tätigkeit des Schuldners durch den Insolvenzverwalter erfüllt nicht das Merkmal der „Verwaltung” im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.

3. Die Arbeitskraft des Schuldners gehört nicht zur Insolvenzmasse.

4. Die Umsatzsteuer aus der Erwerbstätigkeit von Personen, die durch ihre Arbeit und mit Hilfe von nach § 811 Nr. 5 ZPO unpfändbaren Gegenständen steuerpflichtige Leistungen erbringen – hierzu zählen auch Bauunternehmer (soweit ihre persönliche Arbeit die Hauptsache ist) – zählt nicht nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu den Masseschulden.

 

Normenkette

InsO § 35 Abs. 2, § 55 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 811 Nr. 5

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 18.12.2019; Aktenzeichen XI R 10/19)

 

Tenor

1. Der Umsatzsteuerbescheid für 2012 vom … in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … wird aufgehoben.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Tatbestand

Streitig ist die Behandlung von Umsatzsteuer als Masseverbindlichkeit.

Der Kläger erstellte das Gutachten im Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen des Herrn … (Schuldner). Der Schuldner war nach den Feststellungen im Insolvenzgutachten gelernter Elektromonteur und im Streitjahr 2012 selbstständig im Bereich eines „Holz- und Baugeschäftes” tätig. Aufgrund der stabilen Auftragslage – so der Kläger im Gutachten – sei einzuschätzen, dass die selbstständige Tätigkeit des Schuldners fortgeführt werden könne. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens werde die selbstständige Tätigkeit allerdings aus der Masse freigegeben werden, so dass sich die Einnahmen der Masse auf den vom Schuldner an den Insolvenzverwalter abzuführenden Geldbetrag beschränkten. Die Betriebs- und Geschäftsausstattung des Schuldners, im Wesentlichen Kleinwerkzeuge und Handmaschinen, seien mit 500,– EUR zu bewerten. Um dem Schuldner eine weitere Ausübung der selbstständigen Tätigkeit zu ermöglichen, werde der Kläger diese beim Schuldner belassen, werde aber mit diesem eine Verwertungsvereinbarung treffen, nach der der Schuldner einen Betrag in Höhe von 500,– EUR an die Insolvenzmasse zahle.

Das Insolvenzverfahren wurde mit Beschluss vom 22. Oktober 2012 eröffnet. Am 16. Januar 2013 verfasste der zum Insolvenzverwalter bestellte Kläger eine schriftliche Erklärung an den Schuldner, in der er ausführte, hiermit gebe er die selbstständige Tätigkeit „Holz- und Bautenschutz” aus der Insolvenzmasse frei. Von der Freigabe nicht umfasst seien die Mobilien. Diese würden aufgrund der Verwertungsvereinbarung nach vollständiger Zahlung aus der Insolvenzmasse freigegeben.

Der Beklagte teilte dem Steuerfall eine Insolvenzsteuernummer, eine Massesteuernummer sowie eine Steuernummer für die freigegebene Tätigkeit zu. Unter der Massesteuernummer erklärte der Kläger Umsätze in Höhe von null Euro. Der Schuldner reichte keine Erklärung ein. Am … erließ der Beklagte sodann den streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheid zur Massesteuernummer, in dem er für den Zeitraum vom 23. Oktober bis zum 31. Dezember 2012 aus der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners Umsätze in Höhe von 2.941,– EUR schätzte. Er war der Auffassung, die Freigabe der Tätigkeit aus der Insolvenzmasse sei erst mit der schriftlichen Erklärung vom 16. Januar 2013 erfolgt, und die Umsatzsteuer sei eine Masseverbindlichkeit. Das Einspruchsverfahren blieb ohne Erfolg.

Der Kläger ist der Auffassung, die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners aus der Insolvenzmasse sei bereits aufgrund der im Gutachten festgehaltenen Absprache mit dem Schuldner erfolgt und mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam geworden. Die Umsatzsteuer aus der selbstständigen Tätigkeit stelle insofern keine Masseverbindlichkeit dar. Der Schuldner habe seine Tätigkeit auch nicht mit Gegenständen aus der Insolvenzmasse ausgeübt, da diese unter § 811 Abs. 1 Nr. 5 der Zivilprozessordnung (ZPO) fielen. Die Verwertungsvereinbarung sei lediglich für den Fall getroffen worden, dass der Schuldner seine Tätigkeit einstelle.

Der Kläger beantragt,

den Umsatzsteuerbescheid für 2012 vom … in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die im Gutachten dokumentierte Absprache mit dem Schuldner sei keine wirksame Freigabeerklärung. Die Umsatzsteuer aus der vom Kläger geduldeten Tätigkeit des Schuldners stelle eine...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge