Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftungsinanspruchnahme einer irischen Gesellschaft nach § 42d EStG

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Wird wegen einer länger als sechs Monate dauernden Baustelle eine inländische Betriebsstätte i.S. des § 12 Satz 2 Nr. 8 AO 1977 unterhalten, gehören zu dieser Betriebsstätte auch Bauausführungen, die für sich betrachtet die Sechs-Monats-Frist nicht überschreiten sowie Bauausführungen, die sich allein wegen ihrer zeitlichen Überschneidung mehr als sechs Monate hinziehen.

2. Darin, dass die Vorschrift des § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG 1990 auch für ausländische natürliche und juristische Personen lohnsteuerliche Pflichten begründet, soweit sie gemäß den Vorschriften der §§ 8 bis 13 AO 1977 als inländische Arbeitgeber auftreten, ist kein Verstoß gegen höherrangiges Recht zu erkennen.

3. Im Besteuerungsverfahren bleibt der einer Straftat Verdächtigte auch nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens rechtlich zur wahrheitsgemäßen Mitwirkung verpflichtet, nur kann die steuerrechtliche Mitwirkungspflicht nach § 393 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 nicht mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden.

4. Führt eine als inländische Arbeitgeberin i.S. des § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG 1990 anzusehende ausländische Gesellschaft für ihre Arbeitnehmer keine ordnungsgemäßen Lohnkonten, ist das FA bei der Haftungsinanspruchnahme der Arbeitgeberin nach § 42d Abs. 1 EStG nicht verpflichtet, die Lohnsteuer für jeden einzelnen Arbeitnehmer im Haftungsbescheid auszuweisen. Vielmehr darf es die Haftungssumme anhand eines durchschnittlichen Steuersatzes bezogen auf den Nettoumsatz schätzen.

 

Normenkette

EStG 1990 § 42d Abs. 1 Nr. 1, § 38 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 39b Abs. 6; AO 1977 § 12 S. 2 Nr. 8, §§ 90, 393 Abs. 1 S. 2, § 191 Abs. 1; DBA-Irland Art. XII; GG Art. 3

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 09.09.2005; Aktenzeichen I B 40/05)

 

Tenor

1. Die Einspruchsentscheidung vom 21.02.2000 und der Haftungsbescheid vom 05.07.1999 werden insoweit aufgehoben, als der Haftungsbetrag für Lohnsteuer 1994 auf mehr als 178.231 DM, für Lohnsteuer 1995 auf mehr als 534.693 DM und für Solidaritätszuschlag 1995 auf mehr als 40.102 DM festgesetzt wurde.Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 54 v. H., der Beklagte zu 46 v. H.

3. Das Urteil ist hinsichtlich des sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 7/6 des vorgenannten Betrages abwenden, es sei denn, die Klägerin leistet zuvor Sicherheit in vorgenannter Höhe.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist eine irische Gesellschaft mit Sitz in …. Aufgrund der Feststellungen der Steuerfahndung erließ der ursprüngliche Beklagte (das Finanzamt … – FA –) unter Bezugnahme auf den Bericht vom 24. März 1998 (Blatt 9 ff. der Rechtsbehelfsakte – RbA – Bd. I) zuletzt den hier streitigen Bescheid vom 5. Juli 1999, mit dem die Klägerin als inländische Arbeitgeberin gemäß § 38 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 42d Abs. 1 EStG für nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer in Höhe von 385.755 DM (1994), 1.157.264 DM (1995), 48.271 DM (1996) und 191.021 DM (1997) sowie Solidaritätszuschläge hierzu in Höhe von 86.795 DM (1995), 3.620 DM (1996) und 14.327 DM (1997) in Anspruch genommen wurde. Zuvor waren wegen derselben Abgaben Haftungsbescheide vom 13. Mai 1998 bzw. vom 3. Februar 1999 ergangen, die am 3. Februar 1999 aufgrund Unzuständigkeit des erlassenden Finanzamtes … aufgehoben bzw. am 18. Juni 1999 mangels Unterschrift bzw. Namenswiedergabe des zuständigen Bearbeiters zurückgenommen wurden; das FA hatte jeweils den Erlaß eines erneuten Haftungsbescheides angekündigt. Den Einspruch gegen den Haftungsbescheid vom 5. Juli 1999 hat das FA mit Einspruchsentscheidung vom 21. Februar 2000 als unbegründet zurückgewiesen, nachdem es die Klägerin mit Schreiben vom 10. November 1999 aufgefordert hatte, innerhalb einer Ausschlußfrist gemäß § 364b Abs. 1 Nr. 2 b der Abgabenordnung (AO 1977) Angaben zu den einzelnen Bauausführungen zu machen, Nachweise für den Ablauf der Vertragsanbahnung beispielhaft für ein Vorhaben zu erbringen, den Arbeitsvertrag bzw. ein vergleichbares Dokument als Nachweis für die Befugnisse des Herrn … vorzulegen sowie die im Inland von 1994 bis 1997 tätigen Arbeitnehmer zu bezeichnen, deren Tätigkeitsdauer im einzelnen darzulegen und die Löhne und Umsätze zu beziffern. Da die Klägerin keine weiteren Unterlagen eingereicht hatte, stützte das FA die Inanspruchnahme im wesentlichen auf die Feststellungen der Steuerfahndung:

Danach habe die Klägerin durch im Inland vorgenommene Bauausführungen eine oder mehrere Betriebsstätten i.S.d. § 12 Nr. 8 AO 1977 begründet, nachdem die Baustelle … in der Zeit vom 21. Oktober 1996 bis zum 2. Oktober 1997 – d.h. länger als sechs Monate – bestanden habe. Die Klägerin sei seit September 1994 im Inland tätig und habe bis Mitte 1996 ca. 50 Projekte abgewickelt; da der Sachverhalt mangels Mitwirkung der Kläger...

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