Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendigkeit des Nachweises eines vorgefertigten Konzepts für die Annahme eines Steuerstundungsmodells. Kapitalmäßige Beteiligung zur Erlangung eines negativen Progressionsvorbehalts kein Steuerstundungsmodell. Kein Ersatz einer fehlenden Gesetzesgrundlage durch allgemeine Missbrauchsregel

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Sind Indizien für ein vorgefertigtes Konzept, welches zur Annahme eines Steuerstundungsmodells i. S. d. § 15b Abs. 1 EStG vorliegen muss, nicht nachweisbar, lässt sich ein solches nicht allein durch das in einer Vielzahl bekannt gewordener Fälle erfolgte Anstreben eines Steuervorteils in der Form eines negativen Progressionsvorbehalts i. S. d. § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG unterstellen.

2. Offen bleibt, ob § 15b Abs. 1 EStG prinzipiell unanwendbar ist, wenn der angestrebte Steuervorteil nicht in der Verlustverrechnung, sondern in einem niedrigen besonderen Steuersatz nach § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG für das im Inland zu versteuernde Einkommen liegt.

3. Die allgemeine Missbrauchsvorschrift des § 42 AO vermag keine eigenständige Rechtsgrundlage zu schaffen für Verwaltungsakte, deren gesetzliche Voraussetzungen nach anderen Vorschriften nicht vorliegen. Danach können Feststellungsbescheide nach § 15b Abs. 4 EStG nicht allein auf § 42 AO gestützt werden.

 

Normenkette

EStG § 15b Abs. 1, 4, § 32b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, § 4 Abs. 3; AO § 42

 

Tenor

1. Die Bescheide über die gesonderte Feststellung des verrechenbaren Verlustes nach § 15 b Abs. 4 EStG vom 21. September 2009 in der Fassung der Bescheide vom 1. April 2010 werden aufgehoben.

2. Dem Beklagten werden die Kosten des Verfahrens auferlegt.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob sich die Kläger an einem Steuerstundungsmodell beteiligt haben und deshalb die ihnen als atypisch stille Gesellschafter der R. GmbH mit Sitz in W. im Jahre 2007 zuzurechnenden Verluste gemäß § 15b Abs. 1 EStG nicht ausgleichsfähig sind.

Die Kläger haben sich mit Gesellschaftsvertrag v. 27.11.2007 als atypisch stille Gesellschafter an der am 17.10.2007 in W. errichteten R. GmbH beteiligt. Die (mehrgliedrige) atypisch stille Gesellschaft ist bis zum 31.12.2017 befristet, wandelt sich aber in eine solche von unbestimmter Dauer um, wenn keine der Vertragsparteien gegenüber den anderen Vertragsparteien längstens drei Monate vor Fristablauf erklärt, das Gesellschaftsverhältnis nicht fortsetzen zu wollen (§ 12.1 und 12.2 des Gesellschaftsvertrages). Ein Ausscheiden aus der atypisch stillen Gesellschaft soll nach fristgerechter Ankündigung zum Ende eines Geschäftsjahres, erstmals zum 31.12.2009 möglich sein.

Nach dem Teilrücktritt der R. GmbH v. 21.12.2007 betrugen die Einlageverpflichtungen der Kläger:

Kläger zu 1.

2.500.000 Euro

Kläger zu 2.

3.600.000 Euro

Kläger zu 3.

3.200.000 Euro

Kläger zu 4.

7.900.000 Euro

Kläger zu 5.

1.160.000 Euro

Die Kläger leisteten diese Einlagen im Wesentlichen noch im Jahre 2007. Die R. GmbH hat die Einlagen ebenfalls noch im Jahr 2007 im Rahmen ihres satzungsgemäßen Geschäftsgegenstandes in Rohstoffe, schwerpunktmäßig in Schrott und Aluminium investiert.

Für den Zweck der Ermittlung des besonderen Steuersatzes nach § 32b EStG ermittelten die Kläger nach ihrer Wahl den aus ihrer Beteiligung an der R. GmbH herrührenden, in Deutschland steuerfreien Teil seines Einkommens nach der Gewinnermittlungsvorschrift des § 4 Abs. 3 EStG. Für die Kläger ergaben sich große Verluste. Unter Vorlage der Gewinnermittlung reichten die Kläger am 9.4.2008 beim Finanzamt M. eine Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung für die R. GmbH & atypisch Still ein. Der Beklagte, der das Verfahren inzwischen übernommen hatte, erließ am 21.9.2009 einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15b Absatz 4 EStG. In diesem Bescheid wurden zunächst festgestellt: „Einkünfte aus Gewerbebetrieb Nach DBA steuerfreie Einkünfte (ohne Betriebsstätteneinkünfte) Laufende Einkünfte, die dem Progressionsvorbehalt unterliegen Euro -20.651.272,31”. Diese negativen Einkünfte wurden den Klägern als Feststellungsbeteiligten ihrem Anteil entsprechend in folgender Höhe unter derselben Bezeichnung einzeln zugerechnet:

Kläger zu 1.

- 2.815.407,36 Euro

Kläger zu 2.

- 4.046.352,87 Euro

Kläger zu 3.

- 3.606.190,70 Euro

Kläger zu 4.

- 8.879.496,57 Euro

Kläger zu 5.

- 1.303.824,81 Euro

Zudem enthält der Bescheid für jeden Kläger eine Feststellung: „Verrechenbarer Verlust i.S.d. § 15b EStG (nach DBA steuerfrei).” Hier werden die oben genannten, den einzelnen Klägern zugeordneten Beträge exakt (auch unter Verwendung des negativen Vorzeichens) wiederholt. Nach Klageerhebung erließ der Beklagte am 1.4.2010 einen weiteren Besc...

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