Entscheidungsstichwort (Thema)

Grunderwerbsteuer bei Erwerb eines Grundstücks einer GbR durch einen von einer anderen GbR beauftragten Treuhänder und bei mehrheitlicher identischer Beteiligung desselben Gesellschafters an beiden Gesellschaften bürgerlichen Rechts

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Beauftragt eine GbR 1 einen Treuhänder mit dem Erwerb eines Grundstücks von einer GbR 2, ist nicht nur der Grundstückserwerb von der GbR 2 durch den Treuhänder, sondern auch – gemäß § 1 Abs. 2 GrEStG – die damit der GbR 1 als Treugeberin (Auftraggeberin) vom Treuhänder verschaffte Verwertungsbefugnis an dem Grundstück grunderwerbsteuerbar.

2. Ist jedoch ein Gesellschafter in identischem Umfang an der GbR 1 und der GbR 2 mehrheitlich beteiligt (im Urteilsfall: 94 %), so ist im Umfang dieser Beteiligung der Erwerb der Verwertungsbefugnis bei der GbR 1 jedenfalls im Wege der abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß § 6 Abs. 1 GrEStG und § 6 Abs. 3 GrEStG steuerfrei zu stellen, wenn nach dem Inhalt der getroffenen Vereinbarungen der Treuhänder die Verwertungsbefugnis zu keinem Zeitpunkt selbst innehaben und ausüben sollte. Die Beteiligungsidentität kann bei der Besteuerung des Erwerbs der Verwertungsbefugnis nicht außer Betracht gelassen werden.

 

Normenkette

GrEStG § 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 6 Abs. 1, 3; BGB § 675 Abs. 1, § 925; AO § 163

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 23.02.2021; Aktenzeichen II R 22/19)

 

Tenor

1. Der Grunderwerbsteuerbescheid vom 11. Februar 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 1. Oktober 2015 wird dahingehend geändert, dass die Bemessungsgrundlage auf 18.630,– EUR herabgesetzt wird.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

 

Tatbestand

Streitig ist die Anwendung der Steuerbefreiungsregelung in § 6 Abs. 1 und 3 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) auf den Erwerb einer Verwertungsbefugnis.

Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die für den Erwerb und die langfristige Vermietung des Grundstücks … in … gegründet wurde. Ihre Gesellschaftsanteile hält zu 94 % A; zu 6 % ist Rechtsanwalt B an der Klägerin beteiligt. Die so gegründete Klägerin erteilte dem B den Auftrag, das besagte Grundstück im eigenen Namen als Treuhänder, im Innenverhältnis auf Rechnung der Klägerin, zu erwerben. B sollte das Grundstück für die Klägerin halten, war auf Verlangen zu dessen Herausgabe verpflichtet, sollte es nach den Anweisungen der Klägerin verwalten, alle Nutzungen an sie herausgeben, an sie berichten und alle das Grundstück betreffenden Vorgänge, Konten, Zahlungsflüsse etc. offenlegen. Der Rechtsanwalt verfuhr wie vereinbart und schloss am 20. November 2008 einen entsprechenden Kaufvertrag. Veräußert wurde das Grundstück durch eine GbR, an der der Gesellschafter A ebenfalls zu 94 % beteiligt war. Die weitere Beteiligung von 6 % hielt C. Diese GbR hatte das Eigentum am Grundstück am 3. April 2003 erworben.

Nachdem der Beklagte den Erwerbsvorgang zunächst gegenüber dem B besteuert hatte, erließ er unter dem 11. Februar 2011 einen zweiten Grunderwerbsteuerbescheid gegenüber der Klägerin. Darin besteuerte er den klägerischen Erwerb einer Verwertungsbefugnis an dem Grundstück. Er ging davon aus, die Klägerin habe die Verwertungsbefugnis von B erworben. Mit ihrem Einspruch begehrte die Klägerin die Freistellung des Anteils des Gesellschafters A von der Grunderwerbsteuer. Ergänzend stellte sie einen Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen. Der Beklagte wies den Einspruch zurück und lehnte in seiner Einspruchsentscheidung auch die abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen ab.

Die Klägerin trägt vor, der Gesellschafter A habe aufgrund seiner 94-prozentigen Beteiligung das Geschehen sowohl auf der Veräußerer- als auch auf der Erwerberseite bestimmt. Wirtschaftlich sei lediglich der weitere 6-prozentige Gesellschaftsanteil von C auf B übergegangen. Bezogen auf den Gesellschafter A habe die Verwertungsbefugnis am Grundstück gar nicht gewechselt. Dieser habe die Verwertungsbefugnis zu keinem Zeitpunkt aus der Hand gegeben. Auch ein Zwischenerwerb durch den B habe nicht stattgefunden. Aufgrund der Beteiligungsidentität des Gesellschafters A sei dessen Anteil gemäß § 6 Abs. 3 GrEStG von der Besteuerung freizustellen. Der Beklagte stelle zu sehr auf den Grundfall des Treuhanderwerbs von einem fremden Dritten ab. Auch die Begründung des Beklagten zur Ablehnung der abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen sei nicht nachvollziehbar. Für die vorliegende Konstellation sei nichts bekannt, das darauf hindeute, der Gesetzgeber habe die doppelte Besteuerung bewusst in Kauf genommen. Es gebe keine Anhaltspunkte für eine gesetzgeberisch...

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