Leitsatz

1. Der für die Gestattung der sog. Ist-Besteuerung maßgebende Gesamtumsatz (§ 20 Satz 1 Nr. 1 UStG) ist nach den voraussichtlichen Verhältnissen des Gründungsjahres zu bestimmen, wenn der Unternehmer seine unternehmerische Tätigkeit erst im laufenden Jahr begonnen hat. Für diese Prognose ist ein Gesamtumsatz nach den Grundsätzen der sog. Soll-Besteuerung zu schätzen.

2. § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO enthält ermessenslenkende Vorgaben; eine abwägende Stellungnahme des Finanzamts zur Rücknahme des durch falsche Angaben erwirkten rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts ist nicht erforderlich, wenn der Begünstigte von der Unrichtigkeit seiner Angaben wusste oder zumindest hätte wissen können und müssen.

 

Normenkette

§ 20 Satz 1 Nr. 1, 2 und 3, § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4, § 16 Abs. 1 Satz 1, § 18 Abs. 2 Satz 4, § 19 Abs. 3 Sätze 3 und 4 UStG, § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 UStG a.F., § 47 Abs. 3 UStDV, § 5, § 130 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 und 4, § 148 AO, Art. 66 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)

 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine GbR, wurde im September 2011 gegründet. Sie schätzte im Fragebogen zur steuerlichen Erfassung die Umsätze für das Jahr der Betriebseröffnung auf 30.000 EUR. Das Finanzamt (FA) gestattete mit Bescheid vom 15.12.2011 die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten.

Tatsächlich hatte sich die Klägerin jedoch bereits mit Vertrag vom 15.11.2011 gegenüber A verpflichtet, eine Photovoltaikanlage zu errichten.

Gesamtvergütung: 1.258.000 EUR netto:

  • Nach der Montage der Module waren 450.000 EUR,
  • nach der Installation der Wechselrichter weitere 450.000 EUR und
  • nach einem Probebetrieb von 10 Monaten die restlichen 358.000 EUR zu zahlen.

Die Teilbeträge sollten jedoch nur insoweit zur Zahlung fällig werden, als sie von A aus den laufenden Einnahmen der Stromeinspeisung beglichen werden können. Die Inbetriebnahme sollte vor dem 31.12.2011 erfolgen.

Die Klägerin stellte A am 19.12.2011 für die Montage der Module 450.000 EUR zzgl. 85.500 EUR Umsatzsteuer in Rechnung. A zahlte am 21.12.2011 an die Klägerin 77.350 EUR.

Nach einer Außenprüfung nahm das FA u.a. mit Bescheid vom 8.8.2012 die Gestattung der Ist-Besteuerung nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 und 4 AO zurück. Für die niedrige Schätzung im Fragebogen habe es keine tatsächliche Grundlage gegeben.

Der Einspruch blieb erfolglos. Die Vorinstanz (FG München, Urteil vom 25.10.2018, 14 K 2375/16, Haufe- Index 12699442, EFG 2019, 485) wies die Klage ab.

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück.

Berichtigungsmöglichkeit ist im Festsetzungsverfahren zu klären

Der BFH war der Auffassung, dass er im Verfahren der Gestattung der Ist-Besteuerung nicht zu der Frage Stellung nehmen muss, ob die Umsatzsteuer im Streitjahr nach § 17 UStG zu berichtigen sein könnte (vgl. dazu BFH vom 7.5.2020, V R 16/19, BFH/NV 2020, 1029; Az. des EuGH: C-324/20 – X-Beteiligungsgesellschaft). Dies wird aus Sicht des BFH endgültig erst im Festsetzungsverfahren zu klären sein, das der BFH abgetrennt hat (Az.: XI R 28/20).

 

Hinweis

1. Wie ist bei einer Unternehmensneugründung im Gründungsjahr zu berechnen, ob eine Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten möglich ist?

a) Weitgehend einig ist man sich zunächst darin, dass entsprechend dem Rechtsgedanken des § 48 Abs. 3 UStDV (s. für Besteuerungszeiträume von 2021 bis 2026 auch § 18 Abs. 2 Satz 6 UStG) der voraussichtliche Umsatz im Gründungsjahr maßgeblich ist.

b) Dieser ist bei unterjähriger Gründung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 19 Abs. 3 Satz 3 und 4 UStG auf einen Gesamtjahresumsatz hochzurechnen.

c) Mit dem Besprechungsurteil hat sich der BFH außerdem der Auffassung angeschlossen, dass wegen § 20 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 19 Abs. 3 Satz 2 UStG die Schätzung des Gesamtjahresumsatzes im Gründungsjahr nach vereinbarten Entgelten zu erfolgen hat.

2. Die Gestattung der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG ist ein begünstigender Verwaltungsakt (VA), der u.a. unter den Voraussetzungen des § 130 AO zurückgenommen werden kann. §§ 172 ff. AO gelten für deren Rücknahme nicht.

3. Möglich ist die Rücknahme z.B., wenn der Begünstigte die Gestattung durch Angaben erwirkt hat, die i.S.d. § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO in wesentlicher Beziehung (objektiv) unrichtig oder unvollständig waren; auf ein vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln des Begünstigten kommt es nicht an.

Sind die Angaben in diesem Sinne objektiv unrichtig oder unvollständig, ist ohne Belang, ob das FA die Rücknahme auf einen anderen Fall des § 130 Abs. 2 AO gestützt hat; denn § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO enthält insoweit ermessenslenkende Vorgaben ("intendiertes Ermessen"). Die Rücknahme des VA ist im Regelfall die nicht begründungsbedürftige Rechtsfolge der unrichtigen Angaben.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 11.11.2020 – XI R 41/18

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