Entscheidungsstichwort (Thema)

Maßgeblicher Umsatz für die umsatzsteuerliche Ist-Besteuerung im Gründungsjahr des Unternehmens. § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UStG für nicht buchführungspflichtige Unternehmen nicht anwendbar

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Wird die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten (§ 20 UStG) beantragt und hat der Unternehmer seine unternehmerische Tätigkeit erst im laufenden Jahr begonnen, so kommt es im Hinblick auf die maßgebliche Umsatzgrenze nicht auf die Verhältnisse des vorangegangenen Jahres, sondern auf die voraussichtlichen Verhältnisse des aktuellen Jahres an, wobei die Umsätze nach den Grundsätzen der Soll-Besteuerung zu schätzen sind (Anschluss an FG Brandenburg, Urteil v. 13.1.2004, 1 K 3045/02, EFG 2004 S. 857; Abschn. 20.1 Abs. 4 S. 2 UStAE i. d. F. des Jahres 2011).

2. War zum Zeitpunkt der Gestattung der Versteuerung nach § 20 UStG nach den Grundsätzen der Soll-Versteuerung im Jahr der Gründung des Unternehmens ein Gesamtumsatz i. S. d. § 19 Abs. 3 UStG von mehr als 500.000 EUR zu erwarten, so ist die auf unrichtige Angaben des Geschäftsführers des Unternehmens zur geplanten Umsatzhöhe zurückzuführende Gestattung der Ist-Besteuerung durch das FA rechtswidrig und als begünstigender Verwaltungsakt nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO zurückzunehmen.

3. Die Vorschrift des § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UStG, wonach das FA einem nach § 148 AO von der Buchführungspflicht befreiten Unternehmer die Ist-Versteuerung gestatten kann, findet keine Anwendung auf Unternehmen, die gemäß § 141 AO gar nicht der Buchführungspflicht unterliegen (vgl. BFH, Urteil v. 11.2.2010, V R 38/08).

 

Normenkette

UStG 2011 § 20 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1-2, Abs. 2, § 19 Abs. 3 Sätze 1-3, § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a S. 4; AO § 130 Abs. 2 Nr. 3, §§ 141, 148

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 28.09.2022; Aktenzeichen XI R 28/20)

BFH (Urteil vom 11.11.2020; Aktenzeichen XI R 41/18)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die am 20. September 2011 durch zwei Gesellschafter gegründet wurde. Einer der Gesellschafter ist laut dem Gesellschaftsvertrag alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer.

Mit Vertrag vom 15. September 2011 erwarb die Klägerin von einer GmbH die Projektrechte einer Fotovoltaikanlage in X.

Im Fragebogen zur steuerlichen Erfassung, den ihr Geschäftsführer am 27. September 2011 unterschrieb und der am 10. Oktober 2011 beim Beklagten (dem Finanzamt – FA –) einging, gab sie u.a. eine geschätzte Summe der Umsätze für das Jahr der Betriebseröffnung in Höhe von 30.000 EUR und im Folgejahr in Höhe von 100.000 EUR an; ferner beantragte sie die Besteuerung nach den vereinnahmten Entgelten (Ist-Versteuerung), weil sie von der Verpflichtung, Bücher zu führen und aufgrund jährlicher Bestandsaufnahmen regelmäßig Abschlüsse zu machen nach § 148 der Abgabenordnung (AO) befreit sei. Das FA bat mit Schreiben vom 20. Oktober 2011 unter anderem um die Unterschrift des 2. Gesellschafters auf dem Fragebogen.

Am 28. Oktober 2011/2. November 2011 schloss die Klägerin mit einer Aktiengesellschaft (AG) einen Vertrag über die Errichtung eines Fotovoltaik-Parks in X ab, wonach sich die AG verpflichtete, den Park zu errichten. Nach dem vereinbarten Bauzeitenplan sollte die Konstruktion der Fotovoltaikanlage im Jahr 2011 abgeschlossen sein und weitere Arbeiten im Jahr 2012 durchgeführt werden.

Außerdem vereinbarten die Klägerin und die G GmbH am 15. November 2011 einen Vertrag über die Errichtung und den Kauf einer Fotovoltaikanlage. Darin verpflichtete sich die Klägerin als Generalunternehmerin u.a. dazu, die Fotovoltaikanlage entsprechend dem Angebot schlüsselfertig zu errichten. Vereinbart wurde eine Gesamtvergütung in Höhe von 1.258.000 EUR zuzüglich Umsatzsteuer. Dabei sollte der Vergütungsanspruch nach Abschluss von Teilleistungen entstehen, nämlich nach der Montage aller Module auf den Modultischen in Höhe von 450.000 EUR, nach der Installation der Wechselrichterstation mit Vorbereitung für den Netzanschluss in Höhe von weiteren 450.000 EUR und nach einem Probebetrieb von 10 Monaten in Höhe von 358.000 EUR. Die Ansprüche sollten jeweils nur insoweit zur Zahlung fällig werden, als sie vom Besteller aus den laufenden Einnahmen der Stromeinspeisung beglichen werden könnten; die Fälligkeit wurde im Weiteren näher konkretisiert. Als spätester Zeitpunkt für die Inbetriebnahme der Fotovoltaikanlage war der 31. Dezember 2011 festgelegt. Im Falle des von der Klägerin zu vertretenden Überschreitens dieser Frist sollte derjenige Schaden, der durch eine Verringerung der Einspeisevergütung entstünde, pauschal durch eine Herabsetzung der Gesamtvergütung abgegolten werden.

Am 9. Dezember 2011 ging die nunmehr vom 2. Gesellschafter unterschriebene Kopie des Fragebogens zur steuerlichen Erfassung beim FA ein; der Geschäftsführer unterzeichnete nicht erneut.

Mit Bescheid vom 15. Dezember 2011 gestattete das FA unter dem Vorbehalt des...

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