Leitsatz

Der Prüfungszeitraum kann drei Besteuerungszeiträume übersteigen, wenn mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist oder wenn der Verdacht einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit besteht (§ 4 Abs. 3 BpO).

 

Sachverhalt

Der Kläger betreibt seit 2007 eine Kfz-Werkstatt. Der Betrieb wurde vom Finanzamt als Kleinstbetrieb eingestuft. Die festgesetzte Einkommensteuer für die Jahre 2009-2015 bewegte sich zwischen 0 EUR und 834 EUR.

Im Anschluss an eine Außenprüfung für die Jahre 2016-2018, die zu Mehrsteuern bei der Einkommen- und Umsatzsteuer zwischen 3.730 EUR und 19.441 EUR pro Jahr führte, erweiterte das Finanzamt den Prüfungszeitraum auf die Jahre 2009-2015 mit der Begründung, dass mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen sei. Der gegen die Prüfungsanordnung eingelegte Einspruch blieb erfolglos.

 

Entscheidung

Das FG hat entschieden, dass die erweitere Prüfungsanordnung rechtmäßig ist. Nach § 102 FGO relevante Fehler in der Ermessensausübung lägen nicht vor.

Die Feststellung, ob mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen und damit mit nicht unerheblichen Steuernachforderungen zu rechnen sei, erfordere eine Voraussage, die durch Tatsachen gestützt sein müsse. Dabei liege die Voraussetzung, dass "mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen sei", regelmäßig bereits dann vor, wenn entsprechende Feststellungen für bereits geprüfte Veranlagungszeiträume getroffen worden seien. Entsprechende Änderungen müssten wahrscheinlich sein; vage Vermutungen reichten nicht aus.

Werde die Ausdehnung des Prüfungszeitraums im Hinblick auf die Erwartung nicht unerheblicher Steuernachforderungen vorgenommen, so müsse die erforderliche Zukunftsprognose auf Tatsachen gestützt werden. Diese Gesichtspunkte bestimmten und begrenzten die Anforderungen an den Begründungszwang des Finanzamts. Indessen seien auch in diesem Fall die konkreten Ermessenserwägungen nicht im Einzelnen darzustellen. Die Frage, wann eine Änderung der Besteuerungsgrundlagen nicht unerheblich sei, sei nach Lage des Einzelfalls zu entscheiden. Die BFH-Rechtsprechung habe für einen Mittelbetrieb auf eine Steuernachforderung von mindestens 1.500 EUR pro Veranlagungszeitraum abgestellt. In der Kommentarliteratur werde aktuell eine Erheblichkeitsgrenze von zumindest 1.000 EUR bei Kleinst- und Kleinbetrieben sowie von 5.000 EUR bei Mittelbetrieben angesetzt.

Das Finanzamt sei daher zu Recht davon ausgegangen, dass eine wesentliche Änderung der Besteuerungsgrundlagen zu erwarten sei. Eine endgültige oder umfassende Aufklärung, ob Mehrsteuern tatsächlich anfallen würden oder nicht, sei nicht erforderlich. Die Darstellung von Tatsachen durch das Finanzamt, aus denen es die Erwartung nicht unerheblicher Steuernachforderungen entnehme, reiche indes aus.

 

Hinweis

Da die Entscheidung des Finanzamts über die Erweiterung des Prüfungszeitraums eine Ermessensentscheidung darstellt, kann die gerichtliche Kontrolle nur dahingehend erfolgen, ob ein Ermessensfehler im Sinne des § 5 AO bzw. § 102 FGO (Ermessensüberschreitung, Ermessensnichtgebrauch, Ermessensfehlgebrauch) vorliegt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob ein solcher Ermessensfehler vorliegt, ist der Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung. Bis dahin kann das Finanzamt gemäß § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO in Verbindung mit § 126 Abs. 2 AO Ermessenserwägungen in vollem Umfang nachholen bzw. austauschen und ursprünglich entstandene Ermessensfehler damit heilen. Nach Abschluss des Einspruchsverfahrens kann gemäß § 102 Satz 2 FGO nur noch eine Ergänzung von Ermessensfehlern erfolgen.

 

Link zur Entscheidung

FG Nürnberg, Urteil v. 24.02.2022, 6 K 1104/21

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