Leitsatz

1. Wird ein zu eigenen Wohnzwecken genutztes Reihenhaus innerhalb der zehnjährigen Haltefrist veräußert, ist der Veräußerungsgewinn insoweit nicht gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG von der Besteuerung ausgenommen, als er auf tageweise an Dritte vermietete Räume entfällt.

2. Eine räumliche oder zeitliche Bagatellgrenze für eine unschädliche Nutzungsüberlassung an Dritte besteht nicht.

3. Aufteilungsmaßstab für die Ermittlung des steuerbaren Anteils am Veräußerungsgewinn ist das Verhältnis der Wohnflächen zueinander.

 

Normenkette

§ 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG

 

Sachverhalt

Die Kläger, Eheleute, erwarben ein Einfamilienhaus, das sie bis zu dessen Veräußerung vor Ablauf von 10 Jahren selbst bewohnten. Zwei Zimmer im Dachgeschoss vermieteten sie tageweise (einschließlich Mitbenutzung von Bad und Flur) an Messegäste. Das FA erfasste die Einkünfte aus der Vermietung und unterwarf den Veräußerungsgewinn der Besteuerung, soweit er auf das zeitweilig überlassene Dachgeschoss entfiel. Das FG hat der Klage stattgegeben. Wirtschaftsgut sei das Gebäude. Dieses sei durchgängig zu eigenen Wohnzwecken genutzt worden. Daran ändere die tageweise Überlassung an Messegäste nichts, da hierdurch kein neues Wirtschaftsgut entstehe (Niedersächsisches FG, Urteil vom 27.5.2021, 10 K 198/20, Haufe-Index 14933230, EFG 2022, 113).

 

Entscheidung

Auf die Revision des FA hat der BFH das FG-Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Der Gewinn aus der Veräußerung des Hauses ist steuerbar, soweit er auf die vorübergehend zur ausschließlichen Fremdnutzung überlassenen beiden Zimmer entfällt, nicht jedoch soweit er auf das zur Mitbenutzung überlassene Bad und den Flur entfällt. Das FG muss nur noch feststellen, wie groß die Wohnfläche der beiden Zimmer war.

 

Hinweis

§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG schränkt den Tatbestand der Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) ein. Nicht steuerbar sind danach insbesondere Veräußerungsgeschäfte bei "Wirtschaftsgütern", die im Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken genutzt worden sind. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, wenn in einem selbst genutzten Einfamilienhaus einzelne Räume tageweise fremdvermietet worden sind?

1. Eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken liegt insoweit nicht vor. Sie ist abzugrenzen einerseits von der eigenen Nutzung zu anderen als Wohnzwecken und andererseits von der Fremdnutzung. Erstere schließt eine erforderliche, aber auch ausreichende (geringe) Mitnutzung zu eigenen Wohnzwecken nicht aus (Arbeitszimmer), Letztere schon. Werden einzelne Zimmer an Fremde zur alleinigen Nutzung überlassen, ist eine (zeitgleiche) Nutzung zu eigenen Wohnzwecken ausgeschlossen. Eine Bagatellgrenze für geringfügige (und deshalb unschädliche) Fremdüberlassungen lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.

2. Eine schädliche Fremdüberlassung liegt aber nicht vor, wenn Räume nur zur Mitbenutzung überlassen werden (wie im Streitfall das Bad und der Flur). Diese Form der Überlassung schließt die parallele Nutzung zu eigenen Wohnzwecken nicht aus und ist deshalb auch nicht schädlich.

3. Nach dem Wortlaut der Norm wäre die Rechtsfolge einer schädlichen Überlassung, dass der Veräußerungsvorgang wirtschaftsgutbezogen steuerbar ist. Möglicherweise wäre danach sogar der Verkauf des Hauses insgesamt steuerbar, wenn man davon ausgeht, dass einzelne Zimmer in einem Einfamilienhaus keine Wirtschaftsgüter sind.

4. Der BFH ist auf die Frage nicht eingegangen. Er modifiziert die Rechtsfolge dem erklärten Willen des Gesetzgebers und dem Zweck des Gesetzes entsprechend wie folgt: Nicht der Veräußerungsvorgang ist steuerbar, sondern nur der Gewinn, soweit er auf die mitveräußerten, zeitweilig fremdvermieteten Zimmer entfällt. Das entfernt sich schon einigermaßen weit vom Wortlaut der Vorschrift und bewegt sich sicherlich an der Grenze zur freien Rechtsfortbildung. Immerhin gab es aber Hinweise, dass dies dem Willen des Gesetzgebers entspricht.

5. Für die Aufteilung kommt es nicht auf das Verhältnis der Nutzflächen, sondern das der Wohnflächen an, weil die Tatbestandsausnahme die Wohnnutzung privilegiert.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 19.7.2022 – IX R 20/21

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