Leitsatz

Betriebliche Verbindlichkeiten, welche beim Veräußerer aufgrund steuerlicher Rückstellungsverbote (hier: für Jubiläumszuwendungen und für Beiträge an den Pensionssicherungsverein) in der Steuerbilanz nicht bilanziert worden sind, sind bei demjenigen Erwerber, der die Verbindlichkeit im Zuge eines Betriebserwerbs übernommen hat, keinem Passivierungsverbot unterworfen, sondern als ungewisse Verbindlichkeit auszuweisen und von ihm auch an den nachfolgenden Bilanzstichtagen nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG mit ihren Anschaffungskosten oder ihrem höheren Teilwert zu bewerten (Bestätigung und Fortführung des Senatsurteils vom 16.12.2009, I R 102/08, BFH/NV 2010, 517, BFH/PR 2010, 123, BStBl II 2011, 566; entgegen BMF-Schreiben vom 24.6.2011, BStBl I 2011, 627).

 

Normenkette

§ 5 Abs. 1 und Abs. 4, § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG, § 414, § 613a BGB

 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine GmbH, ist Rechtsnachfolgerin der D-GmbH. Diese übernahm zum 1.7.1994, dem Streitjahr, den Betrieb einer Tochtergesellschaft, der DM-GmbH als Gesamtheit von Wirtschaftsgütern ("asset deal"). Deren Vermögensgegenstände und Schulden wurden in der (handelsrechtlichen) Eröffnungsbilanz auf den 1.7.1994 mit den Buchwerten gem. der Bilanz der DM-GmbH angesetzt. Der Firmenwert wurde nach Abzug der übernommenen Buchwerte und der bewerteten Vermögensgegenstände ermittelt und auf 15 Jahre abgeschrieben.

Im Rahmen dieses Vorgangs wurden u.a. auch ­Jubiläumsrückstellungen und Rückstellungen für ­Verpflichtungen gegenüber dem PSVaG von der D-GmbH übernommen und bei der Bemessung des Kaufpreises berücksichtigt. Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob diese übernommenen Passiva unbeschadet steuerlicher Ausweisverbote in der Steuerbilanz zum 31.12.1994 anzusetzen sind. Die Klägerin bejahte dies mit wechselnden Begründungen. Zuletzt begehrte sie, die Passiva bereits in der Eröffnungsbilanz zum 1.7.1994 unter Beachtung der steuerlichen Ausweisverbote anzusetzen und den daraus resultierenden Unterschiedsbetrag zur Handelsbilanz durch entsprechende Abstockung des erworbenen Firmenwerts auszugleichen. Das FA vertrat demgegenüber im Ergebnis die Auffassung, die übernommenen Passiva seien in der steuerlichen Eröffnungsbilanz mit ihren gemeinen Werten anzusetzen; sie seien jedoch in der (ersten) Schlussbilanz zum 31.12.1994 nach steuerlichen Grundsätzen auszuweisen.

Das FG gab der anschließenden Klage statt (FG Düsseldorf, Urteil vom 29.6.2010, 6 K 7287/00 K, Haufe-Index 2597591, EFG 2011, 34).

 

Entscheidung

Der BFH folgte dem. Alles, was dazu zu sagen ist, ergibt sich aus den Praxis-Hinweisen zum einen zum Urteil vom 16.12.2009, I R 102/08 (BFH/NV 2010, 517, BFH/PR 2010, 123, BStBl II 2011, 566), zum anderen wie oben wiedergegeben.

 

Hinweis

1. Durch sein Grundsatzurteil vom 16.12.2009, I R 102/08 (BFH/NV 2010, 517, BFH/PR 2010, 123, BStBl II 2011, 566) war vom BFH entschieden worden, dass betriebliche Verbindlichkeiten, welche beim Veräußerer aufgrund von Rückstellungsverboten (dort: für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften) in der Steuerbilanz nicht bilanziert wurden, bei demjenigen Erwerber, der die Verbindlichkeit im Zuge eines Betriebserwerbs gegen Schuldbeitritt und Schuldfreistellung übernommen hat, keinem Passivierungsverbot unterworfen, sondern als ungewisse Verbindlichkeit auszuweisen sind.

Grund für diese Entscheidung war dem BFH die Realisation in der Verbindlichkeitsrückstellung gespeicherten Risiken einerseits und die prinzipielle Erfolgsneutralität von Anschaffungsvorgängen andererseits.

Alles, was dafür wichtig ist, lässt sich den Praxis-Hinweisen in BFH/PR 2010, 123 entnehmen.

2. Das BMF hatte sich dem nach einigem Wenn und Aber angeschlossen, das aber nur im Ausgangspunkt:

Das steuerliche Abzugsverbot soll zwar für die Eröffnungsbilanz (vgl. § 242 Abs. 1 Satz 1 HGB) oder (falls das Ganze nicht mit einer Betriebseröffnung einhergeht) im Zuge der erstmaligen (und laufenden) buchungstechnischen Erfassung "überspielt" werden. Jedoch greife jenes Verbot dann doch wieder, nämlich an dem ersten nachfolgenden Bilanzstichtag. Damit entpuppt sich die Erfolgsneutralität des Anschaffungsvorgangs per Saldo aber als etwas Scheinbares. Und überdies: Das Ganze soll, folgt man dem BMF, ohnehin nur für den Fall des Schuldbeitritts gelten, nicht aber für eine Schuldübernahme. Bei letzterem setze sich das schwebende Geschäftsverhältnis, das dem Abzugsverbot unterliege, unverändert fort.

Die Finanzverwaltung hat die im Schrifttum heftig geführte Diskussion aufgegriffen und eine eher "defensive" Nichtanwendungs-Position eingenommen.

3. Der BFH ist den von ihm eingeschlagenen Weg indessen – in der nunmehrigen Entscheidung, ebenfalls einem "Dezember-Urteil" – konsequent weitergegangen:

Was für den Fall des Schuldbeitritts richtig ist, kann gleichermaßen für den Fall der Schuldübernahme nicht falsch sein. Abermals wirkt der Ankauf als Realisation durch Kaufpreisminderung im Umfang der betreffenden Verbindlichkeit und ist das Einstehen für die Schuld durch den Erwerber fortan nicht mehr...

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