Leitsatz (amtlich)

1. Ein Landwirt, der im Rahmen seines landwirtschaftlichen Betriebs geerntetes Heu zu Silage verarbeitet, ist Hersteller im Sinne von § 4 ProdHaftG.

2. Indem er die in seinem Betrieb hergestellte Silage an nicht in seinem Eigentum stehende Pferde verfüttert, bringt ein Landwirt das Futtermittel in den Verkehr.

3. Der Enthaftungstatbestand gem. § 1 II Nr. 5 ProdHaftG kommt bei einem Fabrikationsfehler nicht in Betracht, sondern vermag den Hersteller nur bei einem Konstruktions- oder Instruktionsfehler zu entlasten, weil lediglich Entwicklungsrisiken ausgeschlossen werden sollen, also die Haftung für Risiken eines Produktes, die im Zeitpunkt des Inverkehrbringens nicht erkennbar waren (Anschluss an: BGH NJW 2009, 2952, 2955; OLG München, Urteil v. 11.01.2011, Az. 5 U 3158/10, BeckRS 2011, 10312).

4. Die Anwendbarkeit von § 1 I ProdHaftG ist gem. § 15 II ProdHaftG nicht wegen eines Vorrangs des vertraglichen Gewährleistungsrechts ausgeschlossen.

5. Die Beurteilung der Frage, ob für ein Tier aufgewandte Behandlungskosten erstattungsfähig oder unverhältnismäßig hoch sind, erfordert eine Gesamtbetrachtung aller Einzelfallumstände, so dass eine im Einzelfall bei dem dreifachen Betrag der jährlichen Kosten gezogene Verhältnismäßigkeitsgrenze nicht schematisch auf andere Fälle übertragen werden kann (Anschluss an: BGH, Urteil v. 27.10.2015, VI ZR 23/15 = r+s 2016, 45, 46).

 

Normenkette

ProdHaftG § 1 Abs. 1-2, § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, § 15 Abs. 2; BGB § 251 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Hagen (Aktenzeichen 8 O 166/11)

 

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Beklagten durch einstimmigen Senatsbeschluss gemäß § 522 II ZPO zurückzuweisen, da zur einstimmigen Überzeugung des Senats das Berufungsbegehren wegen offensichtlicher Unbegründetheit keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und eine Entscheidung in dieser Sache nicht der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dient. Eine mündliche Verhandlung ist zur einstimmigen Überzeugung des Senats nicht geboten.

Gem. § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO beruht oder dass die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Das angegriffene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO der Beurteilung durch den Senat zugrunde zu legenden Tatsache eine andere Entscheidung. Die mit den Entscheidungsgründen im landgerichtlichen Urteil vorgenommenen Würdigungen des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs aus § 1 I ProdHaftG sind nicht zu beanstanden.

 

Gründe

1. Die Kläger haben einen Schaden an ihrem Eigentum erlitten. Das Pferd erkrankte infolge einer Kontamination der auf dem Hof des Beklagten durch ihn und seine Mitarbeiter gewonnenen Silage, nachdem es damit durch den Beklagten bzw. dessen Erfüllungsgehilfen gefüttert worden war.

Dass insoweit der Haftungstatbestand des § 1 I ProdHaftG grundsätzlich erfüllt ist, weil die Silage einen bestimmungswidrigen Fehler im Sinne von § 3 I ProdHaftG aufwies, hat das LG aufgrund sorgsamer und ausführlicher Würdigung der im ersten Rechtszug erhobenen Beweise zutreffend festgestellt. Der Beklagte wendet sich dagegen mit seiner Berufung, soweit ersichtlich, auch nicht. Der Senat hat dementsprechend gem. § 529 ZPO von diesem festgestellten Kausalzusammenhang auszugehen.

2. Auf dieser Grundlage ergibt sich eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung des Beklagten. Das landgerichtliche Urteil ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Beklagte als Hersteller im Sinne von § 4 ProdHaftG anzusehen ist.

Er unterfällt schon deshalb dem Herstellerbegriff, weil er in seinem landwirtschaftlichen Betrieb das verarbeitete Gras produziert, gemäht und gesammelt hat. Als Hersteller haftet gem. §§ 1 I, 4 I S. 1 ProdHaftG auch der Grundstoffproduzent. Grundstoffe sind Materialien, die zu Teil- oder Endprodukten weiterverarbeitet werden und im Zuge der Weiterverarbeitung ihre Beschaffenheit ändern, so dass auch das bloße Ernten und Sammeln sowie Abbau und Förderung von Naturprodukten als "Herstellung" im Sinne des ProdHaftG zu qualifizieren sind. Nach dem Wegfall des Haftungsprivilegs für Naturprodukte sind nunmehr auch die von Landwirten erzeugten Grundstoffe für Nahrungsmittel in die Produkthaftung einbezogen (MüKo/Wagner, BGB, 6. Aufl., § 4 ProdHaftG Rn. 16, m.w.N.).

Darüber hinaus verarbeitete der Beklagte das von ihm selbst produzierte und geerntete Gras zwecks Herstellung der Silage gezielt im Rahmen eines komplexen Prozesses weiter. Dieser Prozess erforderte, wie in der Berufungserwiderung zutreffend beschrieben wird, die handwerkliche Bearbeitung des Grundstoffs unter Zuhilfenahme von Maschinen und weiterer Materialien. Im Ergebnis änderte sich dadurch die Beschaffenheit des Naturprodukts, das zu einem länger haltbaren Futtermittel wurde.

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