vorläufig nicht rechtskräftig

Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden von Tatsachen

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Zum Begriff der nachträglich bekannt gewordenen neuen Tatsachen i. S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO.
  2. Dass ein ArbG dem ArbN gemäß Betriebsvereinbarung gezahlte Zulagen als steuerpflichtig behandelt hat, kann u. U. eine neue Tatsache i. S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sein.
  3. Zum Begriff des groben Verschuldens i. S. von § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO.
  4. Grobes Verschulden i. S. der vorgenannten Vorschrift umfasst Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit.
  5. Hat ein Stpfl. hinsichtlich der Richtigkeit der Bezügemitteilungen auf seinen ArbG und dessen Kenntnisse vertraut, so trifft ihn kein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der Tatsache, dass der ArbG gem. Betriebsvereinbarung zu zahlende steuerfreie Zuschläge (§ 3b EStG) als steuerpflichtigen Arbeitslohn behandelt hat.
 

Normenkette

AO § 173; EStG § 3b

 

Streitjahr(e)

2011, 2012, 2013, 2014

 

Tatbestand

Streitig ist die nachträgliche Steuerbefreiung nach § 3b Einkommensteuergesetz (EStG) für vom Arbeitgeber gezahlte Zulagen nach Betriebsvereinbarung (sogenannte BV-Zulagen) für vom Kläger geleistete Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit und insbesondere die Frage, ob die Voraussetzungen für die Änderung von bestandskräftigen Einkommensteuerbescheiden gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) vorliegen.

Dem Rechtsstreit liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger ist verheiratet und wird zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielt Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit aus seiner Tätigkeit als Fernmeldehandwerker bei der A-GmbH. Aufgrund dieser Tätigkeit hat der Kläger von dem Arbeitgeber, der A- GmbH, unter anderem Zahlungen nach entsprechenden Betriebsvereinbarungen (sogenannte BV-Zulagen) erhalten.

Dem Kläger standen aufgrund der Betriebsvereinbarungen zur Entlohnung von Schichtdienstkräften vom 29. März 2011 und vom 1. Oktober 2012 jeweils gemäß § 3 folgende Schichtzulagen für tatsächlich geleistete Sonderschichten zu:

Sonntags-Dienst pro Sonntag

43 €

Hoher Feiertag pro hohem Feiertag

60 €

Nachschichtzulage pro Nachtschicht

40 €.

Die Erfassung der tatsächlich erbrachten Arbeitszeiten erfolgte elektronisch und ist in der „Zeitnachweisliste” dokumentiert (Anlage 3, Bd. II GA Bl. 109 ff.).

Auf Basis dieser Zeitnachweislisten wurde die monatliche „Bezügemitteilung” durch den Arbeitgeber erstellt. Die dort abgerechneten „Zeitbezüge” beziehen sich auf die Zeiterfassung des zweiten des dem Abrechnungsmonat vorangegangenen Monats, d. h. in der Bezügemitteilung für März 2014 wurden die tatsächlich im Januar 2014 erbrachten Sonderschichten abgerechnet.

Die A-GmbH hat die nach den Betriebsvereinbarungen zu leistenden Zulagen für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit aufgrund eines Software-Fehlers nicht steuerfrei gezahlt, sondern der normalen Lohnbesteuerung unterworfen. Steuerfrei gezahlt worden sind Zuschläge aufgrund von Manteltarifverträgen. Insoweit wird auf die vom Kläger im Klageverfahren vorgelegten Bezügemitteilungen für den Streitzeitraum 01/2011 bis 12/2014 verwiesen und Bezug genommen (Bd. II Gerichtsakte, Bl. 1 bis 102).

Die Bezügemitteilungen des Klägers sind sehr komplex. Sie enthalten eine Vielzahl von Einzelpositionen und meistens diverse Zulagen und Zuschläge. So beinhaltet zum Beispiel die Bezügemitteilung 05/2012 unter dem Oberbegriff „Zeitbezüge” allein sieben Zulagen. Weitere acht Positionen, die für die Ermittlung der Bezüge von Bedeutung sind, finden sich unter dem Punkt „Zielerreichung”. Als „Basisbezüge”, die in das Gesamtbrutto einfließen, sind weitere sieben Positionen aufgeführt.

Eine Abrechnung oder Abgleichung des steuerpflichtigen und des nichtsteuerpflichtigen Arbeitslohnes des Lohnkontos zum jeweiligen Ende des Veranlagungszeitraums ist nicht vorgenommen worden. Der Arbeitgeber behandelte auch Lohnbestandteile, die als BV-Zulage gezahlt wurden, als steuerpflichtig und erfasste sie als Brutto-Arbeitslohn.

Der Kläger gab in seinen Einkommensteuererklärungen 2011 - 2014 den auf den Lohnsteuerbescheinigungen ausgewiesenen steuerpflichtigen Brutto-Arbeitslohn an. Das Finanzamt veranlagte erklärungsgemäß. Die streitbefangenen Einkommensteuerbescheide sind bestandskräftig.

Der Kläger erhielt erst am 17. Juli 2015 durch eine elektronische Nachricht der Personal-abteilung Kenntnis von der falschen Berechnung seines Bruttoarbeitslohnes.

Mit Schreiben vom 18. August 2015 sowie vom 14. September 2015 beantragte der Kläger die Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 2011 - 2014 wegen neuer Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO). Er begehrte die Minderung der Brutto-Arbeitslöhne für die Streitjahre 2011 - 2014 um bisher versteuerte Zulagen, da diese nach § 3b EStG steuerfrei seien.

Die A-GmbH hatte dem Kläger mit im Übrigen gleichlautenden Schreiben vom 31. August 2015 die Leistung von Zulagen nach Betriebsvereinbarung im Zus...

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