Leitsatz
Die Übertragung eines Rechtsstreits zur Entscheidung auf den Einzelrichter ist dann nicht mehr zu rechtfertigen, nachdem der Rechtsstreit im Wesentlichen abschließend bearbeitet worden und infolge der Bearbeitung als grundsätzlich bedeutsam beurteilt worden ist.
Normenkette
§ 4 Nr. 23 UStG , § 25 UStG , § 69 Abs. 3 FGO , § 119 Nr. 1 FGO
Sachverhalt
Die Antragstellerin veranstaltet internationale Sprach- und Studienreisen und bietet in diesem Zusammenhang sog. High-School- und College-Programme an. Im Streit ist die umsatzsteuerliche Behandlung dieser Leistungen als Reiseleistungen oder als in der Hauptsache nach § 4 Nr. 23 UStG steuerfreie Beherbergungs- und Beköstigungsreisen von Jugendlichen zu Ausbildungs- und Fortbildungszwecken.
Im Rahmen einer noch anhängigen Sprungklage begehrte die Antragstellerin Aussetzung der Vollziehung, die vom FA am 28.2.1998 abgelehnt wurde. Am 10.8.1999 teilte der Berichterstatter mit, dass voraussichtlich Anfang Oktober 1999 entschieden werde, am 27.9.1999 wies der Berichterstatter darauf hin, dass "in dieser schwierigen Rechtsfrage endgültige Klarheit nur durch eine Entscheidung des BFH erzielt werden" könne. Am 22.5.2000 wies er auf die Möglichkeit einer Vorlage an den EuGH hin, mit Beschluss vom 4.10.2000 wurde der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.
Dieser gewährte mit Beschluss vom 9.10.2000 Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung, ließ aber wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Beschwerde zu.
Entscheidung
Der BFH sah die Beschwerde des FA als begründet an und verwies die Sache unter Aufhebung des Beschlusses zurück an das FG. Er rügte einen wesentlichen Verfahrensmangel, da das FG bei dem AdV-Beschluss nicht ordnungsgemäß besetzt war.
Eine Übertragung des Rechtsstreits zur Entscheidung auf den Einzelrichter sei stets dann nicht zu rechtfertigen, wenn sie – wie im Streitfall – erfolge, nachdem der Rechtsstreit im Wesentlichen abschließend bearbeitet und infolge der Bearbeitung als grundsätzlich bedeutsam beurteilt worden sei. Die Übertragung auf den Einzelrichter fast 20 Monate nach Eingang des Antrags auf AdV zeige, dass der Berichterstatter die Sache bereits abschließend beurteilt habe. Insbesondere der Hinweis auf eine in Betracht kommende Vorlage an den EuGH indiziere die grundsätzliche Bedeutsamkeit des Falls.
Hinweis
Umsatzsteuerlich nach wie vor umstritten ist die Frage, wie angebotene High-School- und College-Programme zu würdigen sind. Soweit das Hauptgewicht der angebotenen Leistung in der Beherbergung und Beköstigung der Jugendlichen zu Ausbildungs- und Fortbildungszwecken gesehen wird, liegt eine einheitliche, gem. § 3 a Abs. 1 UStG im Inland erbrachte Leistung vor, die gem. § 4 Nr. 23 UStG steuerfrei ist. Korrespondierend hierzu würde über § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG der Vorsteuerabzug ausgeschlossen. Bei Annahme einer Reiseleistung ergäbe sich dagegen die Möglichkeit der Margenbesteuerung (vgl. hierzu Erlass des FinMin. Mecklenburg-Vorpommern vom 10.3.1999, IV 320-S 7419 – 6/98, UR 1999, 508).
Beachten Sie bitte, dass zwar der Beschluss eines Senats einen Rechtsstreit auf den Einzelrichter zu übertragen gem. § 6 Abs. 4 FGO grundsätzlich unanfechtbar ist und regelmäßig auch im Rechtsmittelverfahren nicht überprüft werden kann. § 6 Abs. 4 Satz 1 FGO schließt jedoch nicht die Rüge aus, der Übertragungsbeschluss sei verfahrensfehlerhaft getroffen worden. Das gilt insbesondere, wenn das Finanzgericht nicht nach den Vorschriften des Gesetzes besetzt gewesen ist und sich hierdurch eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ergibt, weil die Entscheidung nicht mehr zu rechtfertigen und deshalb "greifbar rechtswidrig" ist.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 25.6.2001, V B 6/01 (NV)