Das neue Lieferkettengesetz fordert die gesamte Einkaufsorganisation. Der Mehraufwand, der durch die erweiterten Sorgfaltspflichten insbesondere in den Bereichen Risikoanalyse und Dokumentationspflichten entsteht, ist hoch und die Kosten für zukünftige Projekte zur Abwendung der ermittelten Risiken noch nicht abzuschätzen. Zeitgleich müssen innerhalb kürzester Zeit Strukturen geschaffen und Prozesse angestoßen werden, um das Lieferkettengesetz ab dem 01.01.2023 zu erfüllen. Wird das Lieferkettengesetz allerdings nicht als Belastung, sondern vielmehr als Möglichkeit für eine gezielte Erweiterung der Gestaltungsoptionen für den strategischen Einkauf betrachtet, ergeben sich zahlreiche neue Wertschöpfungspotenziale.

Das Lieferkettengesetz eröffnet dem Einkaufscontrolling neue Aufgaben und Chancen:

  1. Das Einkaufscontrolling kann sich verstärkt als strategischer Business Partner positionieren und maßgeblich bei der Identifikation und Ausgestaltung nachhaltiger, risikoarmer Beschaffungsstrategien unterstützen.
  2. Aufgrund des gestiegenen Bedarfs an unternehmensübergreifenden Informationen muss das Einkaufscontrolling als Beschleuniger der digitalen Transformation des Einkaufs agieren.
  3. Das Einkaufscontrolling wird den Wertbeitrag des Einkaufs für das Unternehmen zukünftig noch deutlicher dokumentieren müssen.

Nachfolgend wird auf die einzelnen Punkte eingegangen.

Das Einkaufscontrolling kann erfolgreich zur Realisierung der formulierten Beschaffungsziele des Unternehmens beitragen, z. B. Senkung des Beschaffungsrisikos oder Erhöhung der Beschaffungsflexibilität. Es überwacht die konkreten Maßnahmen zur Einhaltung des Lieferkettengesetzes und wird infolgedessen zukünftig noch stärker in die Definition und Auswahl der Beschaffungsstrategie involviert sein. Basierend auf dem Lieferkettengesetz kann das Einkaufscontrolling aktiv die Entwicklung von Nachhaltigkeitszielen sowie deren Verstetigung vorantreiben. Dies kann beispielsweise durch die Überprüfung von durch den Einkauf initiierten Maßnahmen zur Einhaltung sozialer Standards oder der Empfehlung neuer Handlungsoptionen geschehen.

Laut einer globalen Studie mit mehr als 1400 befragten Lieferanten aus 87 Ländern zu Beschaffungsstandards und Arbeitsbedingungen in globalen Lieferketten fordert der Einkauf zwar in 93 % der Fälle die Lieferanten vertraglich zur Einhaltung eines Code of Conduct auf, allerdings erhalten nur knapp die Hälfte dabei auch Unterstützung durch den Einkauf.[1] Das Einkaufscontrolling kann sich durch die Nachverfolgung dieser Daten in die Position bringen, den Einkauf bei der Umsetzung der definierten Nachhaltigkeitsziele zu unterstützen. Infolgedessen stärkt das Lieferkettengesetz die Position des Einkaufscontrollings bei Vergabeentscheidungen, da qualitative Kriterien wie beispielsweise die Anzahl durchgeführter Audits, die Anzahl nachweislicher Verstöße gegen geltendes Arbeitsschutzrecht oder die Mitgliedschaft der Arbeitnehmer in Gewerkschaften, dokumentiert und in Verhandlungen mit Lieferanten stärker berücksichtigt werden können. So kann beispielsweise allein die Existenz einer Gewerkschaft zu einem Anstieg des durchschnittlichen Stundenarbeitslohns von 15 % führen und zu nachweislich verbesserten Arbeitsbedingungen in der Lieferkette beitragen.[2] Die Einkaufsorganisation kann den Einfluss dieser qualitativen Faktoren bei Vergabeentscheidungen zukünftig noch stärker gewichten und so den Weg für einen gesteigerten Wertbeitrag des Einkaufs über die reine Produktleistung hinweg bereiten. Das Einkaufscontrolling kann sich hier gezielt als strategischer Ansprechpartner positionieren und den Wertbeitrag des Einkaufs transparent erfassen sowie gegenüber anderen Fachbereichen vertreten.

Des Weiteren wird das Einkaufscontrolling durch die Einführung des Lieferkettengesetzes zukünftig vermehrt Tätigkeiten aus dem Aufgabengebiet des Risikomanagements übernehmen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2020 sind nur 32 % der Mitarbeiter, die sich mit Lieferantenrisikomanagement beschäftigen, organisatorisch im Einkauf angesiedelt.[3] Sollten unerwartete wie akute Risiken in der Lieferkette auftreten, kann dies zu einer Gefährdung des angestrebten "Supply Chain Fit", also den Nachfrageeigenschaften des Marktes und der Lieferkettenstrategie, führen und die Erfüllung der Beschaffungs- und somit auch der Unternehmensziele bedrohen.[4] Das Einkaufscontrolling muss diese Tätigkeit daher in Zukunft stärker ausfüllen, um die Sicherung und Erhaltung der Koordinations-, Reaktions- und Adaptionsfähigkeit des Einkaufs zu gewährleisten.

Damit Beschaffungsrisiken zukünftig schneller adressiert und die Transparenz über die Lieferkette erhöht wird, empfiehlt sich der Einsatz neuer Technologien wie beispielsweise die Blockchain-Technologie.[5] Anhand eines gemeinsam genutzten Datenspeichers sowie ihrer Fähigkeit, Vertrauen zwischen den Akteuren technologisch abzubilden, fördert sie die engere Zusammenarbeit mit strategischen Lieferanten und kann für mehr Transparenz entlang der Lieferk...

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