Leitsatz

Die Lieferung von herrenlosen Tieren, die aus dem Ausland in die Bundesrepublik Deutschland gebracht worden sind, kann dem ermäßigten Steuersatz des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes unterliegen, wenn die herrenlosen Tiere einerseits und die von gewerblichen Tierhändlern, die dem Regelsteuersatz unterliegen, gehandelten Tiere andererseits nicht gleichartig sind (und daher kein Wettbewerb besteht).

 

Normenkette

§ 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a, § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG, § 65, § 14 AO, Art. 98 Abs. 2 und 3 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), § 107 FGO, § 958 BGB

 

Sachverhalt

Der Kläger, ein eingetragener Tierschutzverein, "vermittelte" herrenlose Tiere (wildgeborene Tiere oder Haustiere, die ausgesetzt oder vom Halter zurückgelassen worden sind und in niemandes Eigentum stehen) aus dem Ausland ins Inland. Die inländischen Abnehmer zahlten dafür eine "Schutzgebühr" von regelmäßig rund 300 EUR, die in Einzelfällen ermäßigt wurde.

Der Kläger vertrat für die Jahre 2011 und 2012 die Auffassung, er sei mit der "Tiervermittlung" kein Unternehmer. Für die Folgejahre (2013 bis 2015) meldete der Kläger die "Schutzgebühren" als Umsätze aus einem Zweckbetrieb mit dem ermäßigten Steuersatz an.

Das FA vertrat die Auffassung, dass es sich in allen Jahren um einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb handele, der Umsätze zum Regelsteuersatz ausführe, und erließ entsprechende Steuerbescheide. Der Einspruch blieb erfolglos.

Mit seiner Klage machte der Kläger geltend, die Umsätze seien nicht steuerbar. Hilfsweise unterlägen sie als Umsätze eines Zweckbetriebs dem ermäßigten Steuersatz. Das FG (FG Nürnberg, Urteil vom 21.1.2020, 2 K 114/19, Haufe-Index 13704741, EFG 2020, 425) gab der Klage im Hilfsantrag statt. Die "Vermittlung" von Tieren als steuerbarer Umsatz unterliege in allen Jahren dem ermäßigten Steuersatz.

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision einstimmig als unbegründet zurück.

 

Hinweis

Der BFH hat sich im Besprechungsurteil mit der Frage befasst, ob die "Vermittlung" herrenloser Tiereder USt unterliegt und welcher Steuersatz auf sie anzuwenden ist. Die Rechtsprechung der Finanzgerichte dazu ist (und bleibt) uneinheitlich. Das FG Baden-Württemberg (Beschluss vom 18.4.2011 – 14 V 4072/10, Haufe-Index 2726757) hat die Anwendung des Regelsteuersatzes bejaht, während die Vorinstanz den ermäßigten Steuersatz für anwendbar gehalten hat. Das BFH-Urteil enthält dazu drei wesentliche Aussagen:

1. Herrenlose Tiere werden umsatzsteuerrechtlich nicht vermittelt, sondern geliefert. Der Tierschutzverein vermittelt dem neuen Halter selbst die Verfügungsmacht und ermächtigt ihn, wie ein Eigentümer über das Tier zu verfügen.

2. Die Lieferung von Tieren gegen Entgelt ist ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb des Tierschutzvereins, der Zweckbetrieb sein kann (und im Streitfall war). Sie ist außerdem eine wirtschaftliche Tätigkeit i. S. d. Art. 9 MwStSystRL: Der Tierschutzverein handelt mit der Lieferung von Tieren gegen Entgelt als Unternehmer. Das hauptsächliche Klagebegehren des klagenden Tierschutzvereins, nicht Unternehmer sein zu wollen, blieb erfolglos.

3. Die Lieferung von herrenlosen Tieren kann dem ermäßigten Steuersatz unterliegen (muss es aber nicht). Die Anwendbarkeit des ermäßigten Steuersatzes hängt entscheidend davon ab, ob die vom Tierschutzverein gelieferten Tiere einerseits und die von gewerblichen Tierhändlern gelieferten Tiere andererseits gleichartig sind. Dies hatte das FG (für den BFH nach § 118 Abs. 2 FGO bindend) verneint. Der BFH hat (auch) diese tatsächliche Würdigung für möglich gehalten.

Als Ergebnis kann man festhalten: Sind die gelieferten Tiere gleichartig, bleibt es auch weiterhin beim Regelsteuersatz. Sind sie es nicht, gilt der ermäßigte Steuersatz. Oder allgemeiner: Gewerbliche Tierhändler als Wettbewerber von Tierschutzvereinen müssen durch § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a Satz 3 nicht geschützt werden, wo kein potentieller Wettbewerb besteht. Der Steuersatz hängt daher – wie so oft – von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls (und ihrer tatsächlichen Würdigung durch das FG) ab.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss vom 18.10.2023 – XI R 4/20

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