Leitsatz

Ein EU-Mitgliedstaat verstößt dadurch gegen EU-Recht, dass er die Erstattung der Mehrwertsteuer an in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmer ablehnt, die diese als Hauptunternehmen im Rahmen eines Vertrags über eine komplexe Leistung auf dem Gebiet der Abfallbeseitigung an das EU-Land entrichten mussten, wenn sie einen Teil der in diesem Vertrag bedungenen Arbeiten an ein in dem EU-Land ansässiges umsatzsteuerpflichtiges Subunternehmen vergeben hatten.

 

Normenkette

§ 3a Abs. 1, 2 Nr. 3 Buchst. c UStG , Art. 9 Abs. 1 und 2 der 6. EG-RL

 

Sachverhalt

Ein belgisches Unternehmen hat das Einsammeln, das Sortieren, die Beförderung und die Beseitigung von Abfällen übernommen und ihren Kunden für die gesamte Leistung belgische Umsatzsteuer in Rechnung gestellt.

Die Beseitigung des Abfalls hat das Unternehmen zum Teil auf selbstständige französische Subunternehmen übertragen, die über ihre Leistungen gegenüber dem belgischen Unternehmen mit französischer Umsatzsteuer abrechneten.

Das belgische Unternehmen begehrte, die an die französischen Subunternehmen gezahlte Umsatzsteuer im Weg des Vorsteuervergütungsverfahrens erstattet zu bekommen. Der französische Staat lehnte dies mit der Begründung ab, die gesamte Leistung sei schwerpunktmäßig in Frankreich erbracht worden, so dass das belgische Unternehmen in Frankreich eine normale Voranmeldung abgeben müsste, in der es dann auch die Vorsteuern erklären könnte.

 

Entscheidung

Der EuGH wählte zu Recht den Ansatz, den Ort der von der belgischen Firma erbrachten Leistung zu bestimmen. Er verneinte einen Ort der Leistung in Frankreich. Die komplexe Leistung der Abfallbeseitigung sei insgesamt dort ausgeführt worden, wo der leistende Unternehmer, die belgische Firma, ihren Sitz habe. Er begründete den Vorrang von Art. 9 Abs. 1 der 6. EG-RL mit ansonsten bestehenden Zuständigkeitskonflikten zwischen den Mitgliedstaaten und dem Grundsatz der sachgerechten und gleichmäßigen Besteuerung.

 

Hinweis

Die zutreffende Ortsbestimmung bei den sonstigen Leistungen ist von elementarer Bedeutung, da nur so die Frage nach der Steuerbarkeit eines Umsatzes zutreffend beurteilt werden kann. Diese wiederum ist wichtig, da der BFH den Leistungsempfänger verpflichtet, die an ihn gerichtete Leistung umsatzsteuerlich zu würdigen. Nur wenn an ihn im Inland ein steuerbarer und steuerpflichtiger Umsatz ausgeführt worden ist, kann er – bei richtig angewendetem Steuersatz und richtig errechneter Umsatzsteuer – den ausgewiesenen Umsatzsteuerbetrag als Vorsteuern abziehen.

Der Aufbau des den Leistungsort bei sonstigen Leistungen bestimmende § 3a UStG ist dabei im Regel-/Ausnahmeverhältnis so aufgebaut, dass die Grundregel des § 3a Abs. 1 UStG nur dann den Leistungsort mit dem Sitz des leistenden Unternehmers bestimmt, wenn keine andere Spezialvorschrift des § 3a UStG eingreift.

Besondere Bedeutung kommt insoweit den mehrgliedrigen – oder wie der EuGH formuliert: den komplexen – Leistungen zu. Besteht eine Leistung aus mehreren Leistungsteilen, die einzeln verschiedene Spezialbestimmungen des § 3a UStG erfüllen, entsteht die Frage nach dem einheitlichen Ort der Leistung.

Ein möglicher Ansatzpunkt wäre die Ausrichtung der gesamten sonstigen Leistung nach dem Schwergewicht der einzelnen Leistungselemente, so dass sich der Ort der gesamten sonstigen Leistung danach bestimmt, wo der Schwerpunkt der Leistung erbracht wird. Bei einem Unternehmen, das Abfälle einsammelt, sortiert und beseitigt, wäre das wohl die Beseitigung, die sich als Arbeit an beweglichen körperlichen Gegenständen beurteilen müsste. Der Ort der gesamten Leistung läge dann dort, wo gem. § 3a Abs. 2 Br. 3 Buchst. c UStG der Ort der Abfallbeseitigung wäre.

Dieser Betrachtung hat der EuGH mit seinem Urteil einen Riegel vorgeschoben. Bei komplexen sonstigen Leistungen nimmt er als maßgebliche Ortsbestimmung – unabhängig von einem etwaigen Schwerpunkt der Leistung – immer den Ort an, an dem der leistende Unternehmer seinen Sitz hat.

Für die Praxis bedeutet dies – ungeachtet möglicher systematischer Bedenken – eine wesentliche Erleichterung, da in Zukunft nicht mehr der komplizierte Katalog der Ausnahmeregelungen in § 3a Abs. 2, 3 und 4 UStG bei komplexen Leistungen geprüft zu werden braucht. Der Ort liegt ab sofort bei diesen Leistungen immer dort, wo der leistende Unternehmer seinen Sitz hat.

 

Link zur Entscheidung

EuGH, Urteil vom 25.1.2001, Rs. C-429/97

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