Leitsatz

Beachtet das FA beim Erlass eines Steuerbescheids einen bei ihm bereits vorliegenden Grundlagenbescheid nur versehentlich nicht, so führt dies zu einer offenbaren Unrichtigkeit (Abweichung vom BFH-Urteil vom 14.6.1991, III R 64/89, BStBl II 1992, 52).

 

Normenkette

§ 129 AO , § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO

 

Sachverhalt

Das FA setzte im ursprünglichen Einkommensteuerbescheid die Einkommensteuer zu niedrig fest, weil es versehentlich zwei ihm bereits vorliegende Mitteilungen der Betriebsfinanzämter über die Gewinnanteile des Steuerpflichtigen an gewerblichen Mitunternehmerschaften außer Acht ließ. Nach Entdeckung dieses Versehens berichtigte das FA die Einkommensteuerfestsetzung entsprechend und berief sich dabei auf § 129 AO. Klage und Revision des Klägers hatten keinen Erfolg.

 

Entscheidung

Der BFH folgte FA und FG darin, dass im Streitfall eine offenbare Unrichtigkeit des ursprünglichen Steuerbescheids i.S.v. § 129 AO vorgelegen habe. Etwas anderes hätte nur dann gegolten, wenn das FA – was hier allerdings nicht der Fall sei – die Auswertung der beiden Mitteilungen bewusst unterlassen hätte, etwa um sie zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen.

 

Hinweis

Im Streitfall lagen an sich sowohl die Voraussetzungen für eine Berichtigung des ursprünglichen Einkommensteuerbescheids nach § 129 AO als auch für eine Änderung dieses Bescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO vor (sog. Anspruchskonkurrenz). Allerdings scheiterte eine auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gestützte Korrektur daran, dass bei Erlass des Korrekturbescheids bereits die für diese Änderungsvorschrift bestehende besondere Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs. 10 AO verstrichen war. Die für eine Berichtigung nach § 129 AO geltende allgemeine Festsetzungsfrist war hingegen noch nicht abgelaufen. Würde nun § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO (i.V.m. § 171 Abs. 10 AO) die Anwendung des § 129 AO sperren (d.h. als spezialgesetzliche Regelung verdrängen), so hätte das FA den angefochtenen Berichtigungsbescheid nicht mehr erlassen dürfen.

Diese Ansicht hatte der BFH noch im Urteil vom 14.6.1991, III R 64/89, BStBl II 1992, 52 vertreten. Von dieser Rechtsprechung ist der BFH aber nunmehr im Besprechungsurteil – m.E. zu Recht – abgerückt (ebenso die herrschende Meinung in der Literatur; vgl. z.B. v. Wedelstädt, DB 1992, 606; Gosch, StBp 1992, 74; Tipke/Kruse, § 129 AO Tz. 23; Schwarz/Frotscher, AO, § 175 Rz. 18; a.A. aber z.B. Klein/Brockmeyer, AO, § 129 Rz. 11 und Klein/Rüsken, AO, § 175 Rz. 41).

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 16.7.2003, X R 37/99

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