Leitsatz

Kann sich ein privater Steuerpflichtiger, der mit einer Einrichtung des öffentlichen Rechts im Wettbewerb steht und geltend macht, deren Nichtbesteuerung oder zu niedrige Besteuerung sei rechtswidrig, auf Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der 6. EG-RL berufen? (Vorlage an den EuGH)

 

Normenkette

Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der 6. EG-RL , § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG , § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO , § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO , § 40 Abs. 2 FGO

 

Sachverhalt

Ein Feuerbestattungsverein hat den Verdacht, dass seine Gemeinde, die ebenfalls ein Krematorium betreibt, entgegen § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG nicht zur Umsatzsteuer herangezogen wird. Um dies zu überprüfen, möchte er vom FA Auskunft darüber erhalten, wann und unter welcher Steuernummer gegenüber der Gemeinde der letzte Umsatzsteuerbescheid ergangen und ob dieser Bescheid bestandskräftig geworden sei.

Das FA lehnte die Erteilung der Auskunft ab; das FG verpflichtete das FA, den Kläger erneut zu bescheiden. Es meinte, es gehe um die Offenbarung der in einem Verwaltungsverfahren erlangten Kenntnisse zur Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens in Steuersachen, die zulässig sei; denn der Verein beabsichtige wegen der von ihm vermuteten Nichtbesteuerung oder zu niedrigen Besteuerung der Gemeinde eine – wegen des drittschützenden Charakters von § 2 Abs. 3 UStG zulässige – Klage zu erheben.

 

Entscheidung

Der BFH mochte diesen Rechtsstreit nicht ohne Vorabentscheidung des EuGH entscheiden. Er lässt die Richtigkeit der das FG-Urteil tragenden Ansicht offen, § 2 Abs. 3 UStG sei eine drittschützende Norm (was jegliche gemeinschaftsrechtliche Fragen erübrigen dürfte, da die 6. EG-RL gewiss nicht verbietet, Konkurrenten eines steuerpflichtigen öffentlich-rechtlichen Unternehmens gerichtlichen Schutz zu gewähren). Er weicht stattdessen in Gemeinschaftsrecht aus und befragt den EuGH zu diesem – primär prozess- und damit mitgliedstaatsrechtlichen – Problem. Er hat vom EuGH eine Vorabentscheidung darüber erbeten, ob Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der 6. EG-RL dem Schutz konkurrierender privater Dritter zu dienen bestimmt sei.

 

Hinweis

1. Das Steuergeheimnis ist nicht absolut geschützt, sondern nach Maßgabe des § 30 Abs. 4 und 5 AO in vielfältiger Hinsicht gelockert. Eine dieser Durchbrechungen besteht darin, dass Steuerdaten zur Durchführung eines Verfahrens "in Steuersachen" offenbart werden dürfen. Die Klage eines Steuerpflichtigen gegen einen Konkurrenten, dessen unzutreffende Besteuerung jener rügt, ist sicher ein "Verfahren in Steuersachen". Das anerkennt auch der BFH in der Besprechungsentscheidung.

Dass der Gesetzgeber der AO möglicherweise an ein solches Konkurrentenschutzverfahren bei der Abfassung des § 30 Abs. 4 Nr. 1a bzw. des Abs. 2 Nr. 1a AO nicht gedacht hat bzw. die Konkurrentenklage im Steuerrecht – m.E. mit Recht, aber entgegen einer inzwischen vorgedrungenen Meinung – für zumindest grundsätzlich ausgeschlossen gehalten hat, kann daran nichts ändern. Überdies ist es nur konsequent, das Steuergeheimnis zu durchbrechen, sofern und soweit man die Möglichkeit eines Konkurrentenschutzes im Steuerrecht bejahen möchte.

2. Eine Auskunftserteilung über die Besteuerung eines Konkurrenten scheint folglich grundsätzlich in Betracht zu kommen. Was aber muss das FA vor Auskunftserteilung im Einzelnen prüfen?

Dass die Auskunft nach § 30 Abs. 4 Nr. 1a AO dem Konkurrentenschutzverfahren "dienen" muss, das FA also nicht mehr offenbaren darf, als der Konkurrent zur Verfolgung seiner Rechte wissen muss, legt ihm gewisse Beschränkungen und damit auch Prüfungspflichten auf; denn es versteht sich, dass der Konkurrent sich nicht Einblick in Geheimnisse mit dem bloßen Vorgeben erschleichen darf, deren Kenntnis für eine Konkurrentenklage zu benötigen. Wie aber ist es, wenn das FA nicht sicher beurteilen kann, ob der Auskunftsbewerber bestimmte Kenntnisse tatsächlich benötigt? Wie ist es vor allem, wenn nicht sicher ist, ob eine Konkurrentenklage überhaupt zulässig ist und wegen des Bestehens eigener, durch die steuerliche Behandlung eines Mitbewerbers verletzbarer Rechte zum Erfolg führen kann?

Ist die beabsichtigte Konkurrentenklage erkennbar unzulässig, ist es auch die Auskunftserteilung, die deren Vorbereitung dient. Steht die Unzulässigkeit allerdings nicht fest oder spricht gar ebenso viel für wie gegen ihre Zulässigkeit, so wird man dem Begriff nach nicht annehmen können, die erbetene Auskunft sei nicht geeignet, der Klärung dieser Frage und der Verteidigung der von dem Konkurrenten für sich in Anspruch genommenen Rechte "zu dienen". Es kann auch schwerlich Sache des FA sein, die Auskunft nach seinem eigenen Gutdünken über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Konkurrentenklage zu erteilen oder zu verweigern.

3. Der BFH hat allerdings diese Fragen in der Besprechungsentscheidung nicht erörtert, sondern einen anderen Ansatz gewählt: Die Auskunftserteilung sei nur dann zulässig, wenn sie "verhältnismäßig", insbesondere für die Durchführung des Konkurrentenklageverfahrens "erforderlich" sei. Dies will der...

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