Leitsatz

1. Für die im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG durchzuführende Abgrenzung einer einheitlichen Erstausbildung mit daneben ausgeübter Erwerbstätigkeit von einer berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung) ist das Berufsziel des Kindes nur im Rahmen des engen sachlichen Zusammenhangs zwischen den einzelnen Ausbildungsabschnitten zu würdigen. Für die Frage, ob die Berufstätigkeit oder die Ausbildung im Vordergrund steht, kommt dem Berufsziel keine weitere Bedeutung zu.

2. Der Umstand, dass der erste Ausbildungsabschnitt eine abgeschlossene Qualifikation darstellt, schließt nicht aus, dass dieser Ausbildungsabschnitt mit weiteren Ausbildungsabschnitten zu einer einheitlichen Erstausbildung zusammengefasst werden kann.

3. Die im Senatsurteil vom 11.12.2018 – III R 26/18 (BFHE 263, 209, BStBl II 2019, 765, Rz. 14 ff.) genannten Kriterien für die Abgrenzung einer einheitlichen Erstausbildung mit daneben ausgeübter Erwerbstätigkeit von einer berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung) stellen keinen abschließenden Katalog dar.

 

Normenkette

§ 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3, §§ 62ff. EStG

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist Mutter der T, die ihre nach dem Abitur begonnene dreijährige Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin im August 2020 erfolgreich abschloss. Anschließend nahm T eine Tätigkeit in der Finanzverwaltung auf, die sie zunächst in Vollzeit und ab Dezember 2020 in Teilzeit (28 Wochenstunden, Montag bis Freitag jeweils von 06:00 Uhr bis 11:45 Uhr) ausübte. Im Oktober 2020 begann T ein Studium der Rechtswissenschaften.

Die Familienkasse lehnte eine Kindergeldgewährung ab September 2020 ab, weil T bereits eine erste Berufsausbildung abgeschlossen habe und einer schädlichen Erwerbstätigkeit nachgehe.

Das FG wies die Klage ab (FG Düsseldorf, Urteil vom 14.6.2021, 9 K 370/21 Kg, Haufe-Index 14809027).

 

Entscheidung

Der BFH wies die Revision als im Ergebnis unbegründet zurück.

 

Hinweis

1. Kinder werden während ihrer Ausbildung oder während des Wartens auf den Ausbildungsplatz berücksichtigt, nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums allerdings nur, wenn sie keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Eine Tätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis sind unschädlich (§ 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG).

2. Trotz eines Abschlusses kann die erstmalige Berufsausbildung oder das Erststudium noch andauern, wenn mehrere Ausbildungsabschnitte zu einer sog. einheitlichen Erstausbildung zusammenzufassen sind. Nicht jeder formale Abschluss bewirkt mithin zwingend auch den Verbrauch der Erstausbildung. Zur Abgrenzung der einheitlichen Erstausbildung mit daneben ausgeübter Erwerbstätigkeit von einer berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung) liegt seit dem BFH-Urteil vom 11.12.2018, III R 26/18, BFH/NV 2019, 465, BStBl II 2019, 765, eine umfangreiche Rechtsprechung vor.

3. Die Zusammenfassung setzt zunächst einen engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang der Ausbildungsabschnitte voraus. Das war im Streitfall gegeben, da das Jura-Studium bereits zwei Monate nach dem Ende der Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin aufgenommen wurde.

4. Darüber hinaus muss die Ausbildung gegenüber der Erwerbstätigkeit die "Hauptsache" darstellen, die Erwerbstätigkeit also in den Hintergrund treten. Für diese Beurteilung hat die neuere BFH-Rechtsprechung zahlreiche Kriterien benannt. Das FG hatte die Revision wegen Zweifeln daran zugelassen; der BFH hat diese aber bestätigt.

5. Im Streitfall ergab sich anhand der bekannten Kriterien, dass das Studium des Kindes gegenüber der Erwerbstätigkeit in den Hintergrund trat:

  • langfristiges existenzsicherndes Beschäftigungsverhältnis im Ausbildungsbetrieb unter Ausnutzung des erlangten Abschlusses als Diplom-Finanzwirtin
  • gleichgewichtiges Verhältnis von Arbeits- und Ausbildungszeit, also neutrales Kriterium
  • Ausbildungsmaßnahmen (nur) in der Zeit, die durch das Arbeitsverhältnis nicht belegt war

6. Der BFH setzt sich kritisch mit den vom FG angewandten Kriterien auseinander, weist aber darauf hin, dass die Familienkassen und FG im Einzelfall auch andere geeignete Abgrenzungskriterien finden und in die Gesamtbetrachtung einbeziehen können.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 7.4.2022 – III R 22/21

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