Leitsatz

1. § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG ist bei Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Gegenforderung nicht anzuwenden (Anschluss an BAG, Beschluss vom 23.8.2001, 5 AZB 3/01, NJW 2002, 317).

2. Im Beschwerdeverfahren kann nach § 116 Abs. 6 FGO nur durcherkannt werden, wenn dabei keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden sind.

 

Normenkette

§ 17 Abs. 2 GVG , § 13 GVG , § 322 Abs. 2 ZPO , § 116 Abs. 6 FGO

 

Sachverhalt

Das FA hatte Forderungen eines Dritten gegen einen Steuerpflichtigen gepfändet und gegen die Steuererstattungsforderungen des Steuerpflichtigen aufgerechnet. Es beschied diesen mit Abrechnungsbescheid dahin, dass seine Steuererstattungsansprüche erloschen seien. Der Steuerpflichtige wandte dagegen ein, die angeblichen Forderungen des Dritten bestünden nicht. Die Pfändung sei folglich wirkungslos, die Aufrechnung gehe ins Leere.

Die Klage gegen den Abrechnungsbescheid wies das FG ab. Es meinte, die Steuererstattungsforderung der Klägerin sei durch die Aufrechnung mit den gepfändeten zivilrechtlichen Forderungen erloschen. Diese Forderungen hätten bestanden; das FG könne darüber nach § 17 GVG entscheiden.

 

Entscheidung

Der BFH hat auf die Beschwerde des Steuerpflichtigen wegen Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des FG dieses Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Über eine aufgerechnete rechtswegfremde Forderung dürfe ein Gericht auch nach § 17 GVG n.F. nicht entscheiden; es müsse vielmehr das Verfahren aussetzen und eine Frist bestimmen, in der das Bestehen dieser Forderung auf dem für sie gegebenen Rechtsweg rechtskräftig festgestellt werde. Erhebe der Forderungsberechtigte innerhalb der ihm diesbezüglich für eine Klageerhebung zu setzenden Frist die Klage nicht, könne vom Nichtbestehen der Forderung ausgegangen werden.

 

Hinweis

1. Die Spruchgewalt der Gerichte bei Anspruchskonkurrenz und gespaltenem Rechtsweg ist seit langem Gegenstand von dogmatischen Überlegungen. Das 4. VwGOÄndG von 1990 hat die Rechtslage insofern geklärt, als der Klageanspruch auf mehrere Anspruchsgrundlagen gestützt werden kann, über die an sich Gerichte unterschiedlicher Gerichtsbarkeiten entscheiden müssten; dann kann jetzt nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG das für eine dieser Anspruchsgrundlagen zuständige Gericht auch über das Bestehen des Anspruchs aufgrund der anderen Anspruchsgrundlagen mitentscheiden. Das Rechtswege-Prinzip wird also zugunsten einer Vereinfachung des Rechtsschutzes (ein einziges Gericht zuständig) aufgegeben.

2.§ 17 Abs. 2 Satz 1 GVG gestattet es aber dem Gericht nicht, über eine im Weg der Widerklage geltend gemachte rechtswegfremde Gegenforderung mitzuentscheiden, erst recht nicht darf es über eine im Wege objektiver Klagehäufung geltend gemachte weitere, rechtswegfremde Forderung entscheiden.

3. Strittig war bisher die Anwendung des § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG auf den Fall der Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Forderung. Dieser Fall steht gleichsam in der Mitte zwischen dem der Widerklage und der Anspruchskonkurrenz hinsichtlich der Klageforderung. Eine Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Forderung ist materiell-rechtlich zweifellos zulässig und verfahrensrechtlich wirksam, wenn die Forderung unstrittig oder rechtskräftig festgestellt ist. Wie aber ist zu verfahren, wenn sie strittig ist? Das BAG hat für diesen Fall bereits entschieden, dass dann § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG nicht eingreift, das Gericht also über die rechtswegfremde aufgerechnete Forderung nicht mitentscheiden darf. Dem hat sich der BFH jetzt angeschlossen.

4. Beachten Sie, dass der BFH seit dem 1.1.2001 (In-Kraft-Treten des 2. FGOÄndG)im Beschwerdeverfahren (also in Dreier-Besetzung) ein FG-Urteil aufheben und die Sache an das FG zurückverweisen kann, wenn das FG-Urteil auf einem Verfahrensfehler beruht ("Durcherkennen"). Er muss dann also nicht – wie früher – die Revision zulassen und im Revisionsverfahren über den bereits unter den gleichen Maßstäben im Beschwerdeverfahren geprüften Verfahrensmangel erneut (allerdings in Fünfer-Besetzung) entscheiden.

5. Beachten Sie aber auch, dass so vorzugehen nach wie vor zulässig ist und dann über die Sache im Revisionsverfahren entschieden werden muss, wenn mit der Nichtzulassungsbeschwerde (neben dem Verfahrensmangel) auch grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (mit Recht) geltend gemacht worden ist (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder wenn die Sache im Hinblick auf den zur Zurückverweisung nötigenden Verfahrensmangel grundsätzliche Bedeutung hat (mag diese auch nicht geltend gemacht worden sein).

Im Besprechungsfall konnte der BFH die grundsätzliche Bedeutung aber verneinen, weil bereits das BAG die Rechtsfrage entschieden hatte und der BFH davon nicht hätte abweichen können. Er hätte, wenn er sich dem BAG nicht hätte anschließen wollen, den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes anrufen müssen. Die Richter sind offenbar davon überzeugt gewesen, dass dies auch für den Voll-Senat in einem Revisionsverfahren nicht ernstlich in Betracht gekommen wäre.

 

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