Leitsatz

§ 4 InvStG 2004 ist dahin auszulegen, dass die Frage, ob Dividendenerträge nach einem Doppelbesteuerungsabkommen aufgrund des sog. Schachtelprivilegs steuerbefreit sind, im Einklang mit dem sog. Transparenzprinzip nach Maßgabe der Beteiligungen der Fondsanleger zu beurteilen ist.

 

Normenkette

§ 4, § 15 InvStG 2004, Art. 10 Abs. 3, Art. 24 Abs. 1 Buchst. a DBA Polen 2003

 

Sachverhalt

An dem Kläger, einem inländischen Spezialimmobilienfonds, waren im Streitzeitraum die X Bank und die Y GmbH als Anleger zu jeweils mehr als 10 % der Anteile beteiligt. Alle anderen Anleger waren mit jeweils weniger als 10 % beteiligt.

Zum Sondervermögen des Klägers gehörten alle Anteile an einer polnischen Kapitalgesellschaft J-Sp.z o.o., deren wesentliche Tätigkeit in der Vermietung eines in Polen belegenen Geschäftsgrundstücks bestand. Diese Gesellschaft schüttete im Dezember 2009 einen erheblichen Betrag aus ihrer Kapitalrücklage aus. Der Kläger verbuchte die Zahlung in seinem Jahresabschluss als gewinnneutrale Herabsetzung des Beteiligungsbuchwerts. Da die Verwalterin keinen Antrag auf Feststellung einer Einlagenrückgewähr nach § 27 Abs. 8 KStG gestellt hatte, berücksichtigte der Kläger die Zahlung in der Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 13 Abs. 2 InvStG 2004 als eine gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG zwar steuerbare, aber gemäß § 4 Abs. 1 InvStG 2004 i.V.m. dem sog. Schachtelprivileg nach Art. 24 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 DBA Polen 2003 bei allen Anlegern steuerfreie Ausschüttung.

Das FA war demgegenüber unter Berufung auf das BMF-Schreiben vom 18.8.2009 (BStBl I 2009, 931, Rz. 75a) der Auffassung, die Steuerbefreiung nach dem abkommenrechtlichen Schachtelprivileg gelte nur für jene Anleger, die zu mindestens 10 % am Kläger und damit mittelbar auch an der J-Sp.z o.o. beteiligt gewesen seien. Das FA erließ daraufhin einen Feststellungsbescheid, in dem es die Dividenden der J-Sp.z o.o. nur hinsichtlich der X Bank und der Y GmbH als steuerfrei behandelte. Im Hinblick auf alle anderen Anleger stellte das FA insoweit (weitere) Erträge i.S.d. § 8b Abs. 1 KStG bzw. § 3 Nr. 40 EStG fest. Die hiergegen erhobene Klage blieb ohne Erfolg (Hessisches FG, Urteil vom 21.6.2016, 4 K 960/15, Haufe-Index 9701015, EFG 2016, 1535).

 

Entscheidung

Der BFH hat die Revision des klagenden Fonds aus den in den Praxis-Hinweisen genannten Gründen zurückgewiesen.

 

Hinweis

1. Mit der Besprechungsentscheidung hat der BFH die Auffassung der Finanzverwaltung bestätigt, dass der Anwendung des abkommensrechtlichen Schachtelprivilegs eine anlegerbezogene Betrachtungsweise zugrunde zu legen ist. Die Entscheidung gründet im Wesentlichen auf dem investmentsteuerrechtlichen Transparenzgedanken und ist daher "nur noch" für die Anwendung des "alten" Investmentsteuerrechts von Bedeutung.

2. Das Problem, das der BFH zu lösen hatte, ist leicht erklärt: Der klagende Immobilienfonds war zu 100 % an einer polnischen Immobilien verwaltenden Kapitalgesellschaft beteiligt. Diese tätigte eine Ausschüttung. Für die Steuerfreiheit der Ausschüttung setzte das im DBA Polen vorgesehene Schachtelprivileg eine Beteiligungshöhe von mindestens 10 % voraus. Stellt man auf den Fonds selbst ab (fondsbezogene Betrachtungsweise), dann war diese Schwelle unproblematisch überschritten. Stellt man auf die Fondsanleger ab (anlegerbezogene Betrachtungsweise), so konnten im konkreten Streitfall nur solche Anleger begünstigt werden, die am Fonds mit mindestens 10 % und damit mittelbar auch an der polnischen Kapitalgesellschaft zu 10 % beteiligt waren.

3. Der BFH hat sich für die fondsbezogene Betrachtungsweise entschieden. Folgende Gründe waren dafür maßgeblich: Zunächst ist hier die historische Auslegung der Regelung des § 4 Abs. 1 InvStG 2004 zu nennen. Diese Vorschrift "transportiert" die abkommensrechtlichen Befreiungen in das Investmentsteuerrecht. Der historische Gesetzgeber hat die anlegerbezogene Betrachtungsweise vertreten. Denn er verwendet in den Gesetzesmaterialien hinsichtlich der Inanspruchnahme der Befreiung u.a. die Formulierung "wenn sie dem Anteilsscheininhaber anstatt über das Sondervermögen unmittelbar zufließen würden". Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass § 4 Abs. 1 InvStG 2004 dem Grundsatz der Transparenz folgt, wonach für die Anwendung der Regelung durch den Fonds hindurchzugreifen und auf die Anleger abzustellen ist. Mit dem – einschränkten, weil im alten Investmentsteuerrecht nicht durchgehend verwirklichten – Transparenzprinzip verfolgte der Gesetzgeber den Zweck, den Fondsanleger mit dem Direktanleger gleichzustellen. Wer z.B. aber unmittelbar an der polnischen Kapitalgesellschaft nur zu 5 % beteiligt war, konnte nicht in den Genuss des Schachtelprivilegs kommen. Als "Kleinanleger" eines Fonds durfte er nicht bessergestellt werden.

4. Da das "neue", seit 2018 geltende Investmentsteuerrecht den Fonds selbst als steuerpflichtiges Subjekt behandelt (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 InvStG), das Trennungsprinzip also das Tr...

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