Leitsatz

Für die Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO im Fall einer Steuerberichtigung nach § 14c Abs. 2 UStG ist entscheidend, wann die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist; die Steuerberichtigung wirkt insolvenzrechtlich nicht auf den Zeitpunkt der Rechnungsausstellung zurück.

 

Normenkette

§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO, § 14c Abs. 2, § 17 Abs. 1 UStG

 

Sachverhalt

Im Februar 2003 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger wurde zum Insolvenzverwalter bestellt.

Im Jahr 2002 hatte die Schuldnerin Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis erteilt und die Umsatzsteuer an das FA abgeführt. Im Jahr 2003 versagte das zuständige FA X einem Empfänger dieser Rechnungen die Erstattung der Vorsteuer. Es vertrat die Auffassung, dass die Schuldnerin keine Lieferungen erbracht und daher unberechtigt die Umsatzsteuer in ihren Rechnungen ausgewiesen habe.

Die dagegen gerichtete Klage des Rechnungsempfängers wurde mit Urteil des FG (FG Hamburg, Urteil vom 29.4.2008, 5 K 74/06) als unbegründet abgewiesen. Die dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde zurückgenommen (BFH, Beschluss vom 28.8.2008, V B 50/08).

Nachdem der Kläger 2009 die von der Schuldnerin erstellten Rechnungen berichtigt und beim FA zunächst die Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrags nach § 14c Abs. 2 Satz 5 i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG für das Jahr 2002 ohne Erfolg beantragt hatte, machte er für das Jahr 2008 eine Minderung der Umsatzsteuer wegen der nicht durchgeführten Lieferungen aus dem Jahr 2002 geltend. Das FA erließ am 20.6.2014 einen entsprechenden Umsatzsteuerbescheid für 2008. Dieser wies aufgrund der Umsatzsteuerminderung ein Guthaben aus.

Gegen das Guthaben der Schuldnerin aus der Umsatzsteuer 2008 rechnete das FA mit vorinsolvenzlichen Steueransprüchen auf. Der Kläger widersprach der Aufrechnung. Daraufhin erließ das FA einen Abrechnungsbescheid, mit dem es die Aufrechnung bestätigte.

Die Klage hatte Erfolg. Das FG hob den Abrechnungsbescheid auf, da der Umsatzsteuererstattungsanspruch erst im Jahr 2008 und somit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sei, weshalb ein insolvenzrechtliches Aufrechnungsverbot bestehe (FG Hamburg, Urteil vom 25.11.2015, 6 K 167/15, Haufe-Index 8905760, EFG 2016, 421).

 

Entscheidung

Aus den in den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen hat der BFH die Revision des FA zurückgewiesen, dabei allerdings den Tenor des FG-Urteils geändert. Das FG hatte den angefochtenen Abrechnungsbescheid lediglich aufgehoben, obwohl das erkennbare Klagebegehren auf eine Änderung des Abrechnungsbescheids dahin gerichtet war, dass er das begehrte Guthaben auswies.

 

Hinweis

Ob einer Aufrechnung mit Insolvenzforderungen das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 entgegensteht, hängt davon ab, ob die Hauptforderung vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, die sich auf Rechtsprechung des BGH stützt, bestimmt sich dieser Zeitpunkt danach, wann der Anspruch im insolvenzrechtlichen Sinn ("im Kern") begründet worden ist.

Deshalb kommt es bei einem zur Insolvenzmasse gehörenden Erstattungsanspruch des Insolvenzschuldners nicht darauf an, zu welchem Zeitpunkt sämtliche steuerrechtlichen Voraussetzungen für eine Steuererstattung vorliegen, sondern wann die Grundlagen dieses Anspruchs gelegt worden sind. Ein Erstattungsanspruch ist danach grundsätzlich bereits zum Zeitpunkt der Zahlung der Steuer im insolvenzrechtlichen Sinn "begründet". Bereits mit der Steuerzahlung erwirbt der Steuerpflichtige für den Fall, dass die schließlich festgesetzte Steuer seine Vorauszahlung unterschreitet, einen aufschiebend bedingten Erstattungsanspruch.

Anders stellt sich die Rechtslage dar, wenn sich eine Erstattung daraus ergibt, dass festgesetzte und entrichtete Umsatzsteuer zugunsten des Insolvenzschuldners korrigiert wird. Hierbei kommt es immer wieder zu Rechtsstreitigkeiten, weil das UStG spezielle Korrekturvorschriften enthält, die bei der Frage, wann der Erstattungsanspruch als "begründet" anzusehen ist, berücksichtigt werden müssen.

Soll ein unberechtigter Steuerausweis (hier: durch den späteren Insolvenzschuldner) nach § 14c Abs. 2 UStG korrigiert werden, hängt der Anspruch auf eine solche Berichtigung und auf Erstattung der entrichteten Umsatzsteuer davon ab, ob die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt ist, es also zu keinem Vorsteuerabzug beim Empfänger der Rechnung kommen kann. Ist diese Voraussetzung erfüllt, ist die Steuer für diesen Besteuerungszeitraum (in dem die Gefährdung endgültig beseitigt ist) zu berichtigen. Der BFH hat mit dem vorliegenden Urteil entschieden, dass zu diesem Zeitpunkt auch der Anspruch auf Erstattung der entrichteten Umsatzsteuer insolvenzrechtlich "begründet" ist.

Im Streitfall hatte das FA geltend gemacht, das Steueraufkommen sei schon von Anfang an nicht gefährdet gewesen, da das FA des Rechnungsempfängers den unberechtigten Steuerausweis sogleich erkannt und den Vorsteuerabzug versagt habe. Dem ist der BFH nicht...

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